Mount Dragon - Labor des Todes
sind das für Münzen?«
»Das war Mondragons Reisekasse. Es sind schöne Stücke, aber das Wertvollste an unserem Fund dürfte wohl der Dolch sein.« Carson blickte zurück in die Höhle. »Ich schätze, daß das Maultier in die Höhle gelaufen ist und Mondragon es verfolgt hat. Zusammen waren sie wohl zu schwer für den Klippenrand und sind hinuntergestürzt. Dabei ist Mondragon umgekommen.« De Vaca schüttelte den Kopf. »Nein, so war es nicht. Ich habe dort unten nämlich noch etwas anderes gefunden. Und zwar einen Pfeil, der Mondragons Leiche in der Brust steckte.« Carson sah sie erstaunt an. »Das muß der Diener gewesen sein«, sagte er. »Die Legende war also falsch: Sie sind gar nicht auf der Suche nach Wasser umgekommen. Sie haben Wasser gefunden. Aber dann wollte der Diener den Schatz für sich allein haben.« De Vaca nickte. »Vielleicht hat Mondragon nach einem Versteck für seinen Schatz gesucht, in der Dunkelheit die Klippe übersehen und ist mit dem Maultier hinuntergestürzt. Auf seiner Leiche und drumherum habe ich viel loses Geröll gefunden. Vielleicht war Mondragon so schwer verletzt, daß sein Diener ihn von seinen Qualen erlöst hat.«
»Du hast gesagt, daß das Bündel nur noch halb voll war, stimmt's? Möglicherweise hat der Diener ja soviel Meerschaum mitgenommen, wie er tragen konnte, und ist auf Mondragons Pferd zurück nach Süden geritten. Wahrscheinlich hat er sich auch das Wams seines Herrn als Schutz gegen die Sonne angezogen. In Mount Dragon ging ihm dann das Wasser aus, und er starb. Wegen des Wamses hat man dann geglaubt, es sei Mondragon gewesen, der dort umgekommen ist.« Carson starrte in die Öffnung der Höhle, als könne diese ihm die Lösung des Geheimnisses verraten. »Das ist also das Ende der Legende vom Mount Dragon«, sagte er. »Vielleicht«, entgegnete de Vaca. »Aber so leicht stirbt eine Legende nicht.«
Schweigend standen die beiden in der Nachmittagssonne und starrten auf die Münzen in de Vacas Handfläche. Schließlich steckte sie sie vorsichtig in die Taschen ihrer Jeans. »Ich glaube, wir sollten jetzt die Pferde satteln«, sagte Carson, hob den Dolch auf und steckte ihn sich in den Gürtel. »Wir müssen zusehen, daß wir noch vor Sonnenuntergang die Schlucht erreichen.«
Levine ging durch die Tür und blieb wie angewurzelt stehen. Er stand auf einer Klippe, unter der der Ozean gegen eine steinige Landzunge antobte. Die Wellen warfen sich gegen die Felsen und spritzten weiß schäumend auf, bevor sie wieder in die brodelnde Brandung sanken. Levine drehte sich um. Die Klippe, auf der er stand, war kahl und windgepeitscht. Ein schmaler, ausgetretener Pfad führte durch eine grüne Wiese in einen dichten Fichtenwald.
Von der Tür, die in den Korridor zurückführte, war nichts mehr zu sehen. Levine befand sich in einer völlig neuen Welt. Er nahm die Hände für einen Augenblick vom Laptop und schloß die Augen. Es war nicht nur die unglaublich lebendige Darstellung einer Küste - dort, wo sich eigentlich der achteckige Raum hätte befinden sollen -, was ihn beunruhigte, sondern noch etwas anderes.
Levine kannte die Küste. Was er sah, war keine erfundene Landschaft, sondern eine, die er vor vielen Jahren schon einmal besucht hatte, und zwar zusammen mit Brent Scopes. Damals waren sie noch auf dem College und unzertrennbare Freunde gewesen. Auf der Insel, zu der diese Klippen gehörten, hatte die Familie Scopes ein Sommerhaus gehabt. Sie hieß Monhegan Island und lag vor der Küste des US-Bundesstaates Maine.
Die Klippe, auf der Levine stand, befand sich auf der dem Meer zugewandten Seite der Insel. Wenn er sich noch richtig erinnerte, hieß die Landzunge Burnt Head.
Levine legte die Hände wieder auf den Computer und drehte langsam den Trackball, um sich einen Rundblick über die Landschaft zu verschaffen. Es war ein phantastisches, kaum faßbares Erlebnis, denn jeder Ausblick, jedes Detail rief in ihm neue Erinnerungen an den Sommer hervor, den er vor vielen Jahren hier verbracht hatte. Die Landschaft war ein genaues Abbild der Insel von Scopes' Kindheit, die Brent offenbar zu seiner ganz persönlichen Domäne, zum geheimen Herz seines Cypherspace-Programms gemacht hatte.
Levine dachte an die Ferien, die er auf Monhegan Island verbracht hatte. Ihm als Kind aus der Bostoner Arbeiterklasse waren die flachen Lagunen und saftigen Wiesen der Insel wie eine Offenbarung vorgekommen, ebenso wie das großzügige alte Herrenhaus von Brents Familie, das am
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