Mount Dragon - Labor des Todes
kein Geräusch nach außen drang. Obwohl sich der Raum sechzig Stockwerke hoch über dem Hafen von Boston befand, hatte er nicht ein einziges Fenster, aus dem man den phantastischen Ausblick hätte genießen können. Der Boden war mit seltenen Mbanga-Schieferplatten aus Tansania ausgelegt, deren Farbe alle Schattierungen zwischen asch- und maulwurfsgrau umfaßte. Die Außenseite der Tür bestand aus einer besonders widerstandsfähigen Metallegierung. Anstelle eines Gucklochs hatte sie einen Augenscanner zur Identifizierung etwaiger Besucher, und dort, wo sich bei normalen Türen die Klinke befand, mußte man seine Hand auf eine Glasfläche legen, auf der die Handlinien abgelesen wurden. Neben der Tür standen in einer Wandnische durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht keimfrei gehaltene Schaumstoffpantoffeln, auf die in großen Ziffern die verschiedenen Schuhgrößen aufgedruckt waren. Unter einer ständig hin- und herschwenkenden Videokamera über der Tür war ein großes Schild angebracht, auf dem zu lesen stand: IM INNEREN DES RAUMES BITTE LEISE SPRECHEN. Zu der Tür gelangte man durch einen langen, schwach erleuchteten Korridor, an dessen anderem Ende sich ein Kontrollpunkt des Sicherheitsdienstes und die Aufzüge befanden. An beiden Seiten des Ganges waren Türen, die in ein Büro der Wachleute, eine Küche, eine Krankenstation, eine Luftreinigungsanlage und Zimmer für die verschiedenen Dienstboten führten, die einzig und allein für die Bedürfnisse des Mannes zuständig waren, der den achteckigen Raum bewohnte. Die letzte Tür vor dem Eingang zum Achteck stand offen und gab den Blick in einen kirschholzgetäfelten Raum mit Parkettboden frei. In die Wand war ein marmorner Kamin eingelassen, neben dem einige große Gemälde aus der Hudson-River-Schule hingen, und auf dem Boden lag ein wertvoller Perserteppich. In der Mitte des Raumes stand ein prächtiger Mahagonischreibtisch, auf dem ein altes Telefon mit Wählscheibe thronte. Hinter diesem Schreibtisch saß ein Mann im Anzug und schrieb etwas auf ein Blatt Papier.
Wenige Meter von ihm entfernt, im Inneren des riesigen, achteckigen Raumes, war genau am Scheitelpunkt des Deckengewölbes ein Scheinwerfer plaziert, der einen enggebündelten Strahl reinweißen Lichtes direkt nach unten schickte. In diesem scharf begrenzten Lichtkegel stand ein abgewetztes Sofa im Stil der siebziger Jahre, dessen Lehnen schon ganz speckig waren. Aus den Sitzkissen quoll an mehreren Stellen die Polsterung hervor, und an der Vorderseite hatte jemand einen langen Riß im Stoff mit silbrig schimmerndem Isolierband zugeklebt. So fadenscheinig und häßlich es auch war, das Sofa hatte einen entscheidenden Vorteil: Es war ausgesprochen bequem. Flankiert wurde das merkwürdige Möbelstück von zwei billigen, nachgemacht antiken Couchtischen. Auf einem von ihnen standen ein großes Telefon, mehrere elektronische Geräte in Gehäusen aus mattschwarz eloxiertem, gebürstetem Aluminium und ein Tischstativ mit einer Videokamera, deren Objektiv direkt auf das Sofa gerichtet war. Der zweite Couchtisch war leer, aber seine Platte war mit unappetitlichen, aus unzähligen Pizzaschachteln getrieften Fettflecken und klebrigen Ringen übersät, wie sie Coladosen zu hinterlassen pflegen. Vor dem Sofa stand ein großer Arbeitstisch, der im Gegensatz zu den anderen Möbeln von geradezu atemberaubender Schönheit war. Die Tischplatte bestand aus sorgsam poliertem und eingeöltem Ahorn mit einem dicken Rand aus schwarzgrünem Guajakholz, das mit komplizierten Intarsien aus feinstem Nußbaum versehen war. Deren Muster zeigte hauptsächlich Noodaa-Ähren, Symbol der uralten Religion der Anasazi-Indianer. Es waren die Körner dieser einstigen Kultpflanze, die den Bewohner des achteckigen Raumes zu einem schwerreichen Mann gemacht hatten. Auf dem Tisch lag nichts weiter als eine kabellose Computertastatur, aus der seitlich eine kurze Antenne herausragte.
Der Rest des großen Raumes war leer bis auf einen großen Konzertflügel, der knapp außerhalb des Scheinwerferkegels stand. Es war ein wunderschönes Pianoforte aus Rosenholz, das angeblich im Jahr 1820 für Ludwig van Beethoven gebaut worden war.
An dem Piano saß mit gesenktem Kopf ein Mann in schwarzem T-Shirt und Bluejeans, der an den Füßen mit Glasperlen bestickte Mokassins trug. Die Finger des Mannes ruhten mehrere Minuten bewegungslos auf den Tasten aus Elfenbein, dann wurden auf einmal die ersten Akkorde von Beethovens letzter Klaviersonate,
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