Mount Maroon
Parteilichkeit bewahrt und anhängige Zweifel zerstreut. Mit Ende 60 und Anfang 70 gehörten die beiden Wissenschaftler zur Kategorie der Honourable Elders. Sie standen gewissermaßen unter Artenschutz. Robert Shane hatte sie mitten in der Nacht angerufen und ihre Teilnahme an der heutigen Sitzung erbeten. Jetzt warteten sie etwas verloren wirkend an dem großen ellipsenförmigen Konferenztisch, wie andere Herren ihres Alters auf die Ergebnisse eines Kricketturniers.
Im Gegensatz zum kleinen Konferenzraum in seinem verspielten Rokokostil überzeugte der große Sitzungssaal durch die Abstinenz überflüssigen Inventars. Seine Form passte sich dem zentralen Element des Tisches an, wenngleich in einem respektvollen Abstand von nicht weniger als sechs Metern. Die Wände und die Decke hatten eine dunkle Holzvertäfelung, aus deren Fugen dezente Lichtquellen für eine unaufdringliche, dem Tageslicht nicht unähnliche Beleuchtung sorgten. Der steingraue Teppichboden wirkte schlicht, doch wenn man darauf ging, glaubte man, über frisches Waldmoos zu schreiten. Der Raum bot Platz für sechzehn Personen und die Abstände zwischen den Stühlen betrugen jeweils einen Meter. Am oberen Ende des Tisches war ein Stuhl aus der Reihe herausgerückt worden, wodurch die Stelle markiert war, an der Robert Shane zu sitzen gedachte.
Gegen 14 Uhr hatten alle Teilnehmer der Runde ihre Plätze eingenommen: am Kopf Mr. Shane, links von ihm zunächst Dr. Raymond Myers, dann Terry Haze, ihnen gegenüber und damit zur Rechten des Institutsleiters schließlich Elliot Harper und Lorenz Veitman. Als traditionell für den gesellschaftlichen Teil Zuständigen übernahm Dr. Myers die wechselseitige Vorstellung der einander nicht bekannten Personen. Er begann mit Terry Haze und seinem Anliegen. Danach blickte er zu Elliot Harper.
- „Professor Harper ist Spezialist für Elementarteilchenphysik und Quantenfeldtheorie. Er unterrichtet an der University of California in Berkeley und ist Vorsitzender der Internationalen Akademie für Annihilationsforschung.“
Myers hielt einen Moment inne, dann drehte er den Kopf zu Lorenz Veitman.
- „Und Dr. Lorenz Veitman. Er war Professor am Massachusetts Institute of Technology und beschäftigt sich vorwiegend mit Fragen der Kybernetik, im Speziellen mit der Organisation von Systemen über die Zeit unter Einbezug rekursiver Schleifen. Die beiden Wissenschaftler begleiten unsere Arbeit seit vielen Jahren und haben einen maßgeblichen Anteil am derzeitigen Stand der Versuchsreihe C26.“
Das war der Einsatz für Robert Shane. Er hatte schlecht, genauer gesagt, so gut wie überhaupt nicht geschlafen. Wie sollte er anfangen, wie erzählt man eine derartige Ungeheuerlichkeit? Konnte man es einfach geradeheraus sagen, in einem Satz oder benötigte man ein Aufwärmprogramm, eine Einleitung, eine Hinführung? Nicht, dass er geglaubt hätte, Mr. Haze würde der Schlag treffen, nein, das Problem lag mehr auf seiner Seite. Robert Shane war nie ein großer Redner, kein Mann für unterhaltsame Vorträge gewesen. Gewöhnlich beschränkte er sich auf das Nötigste, formulierte knapp und präzise. Heute jedoch wollte er der Gewaltigkeit des Projekts gerecht werden. Er entschied sich dafür, es mit einem Dialog zu versuchen.
- „Mr. Haze, sagt Ihnen das Philadelphia-Experiment irgendetwas?“
- „Hm, eine Legende, soweit ich weiß. Es soll in den 1940er Jahren Versuche der US-Marine gegeben haben, eine Antiradartechnologie zu entwickeln, um Schiffe für feindliche Einheiten unsichtbar zu machen.“
- „Nicht ganz. Es handelte sich um die Entwicklung eines Entmagnetisierungsverfahrens. Die Schiffe sollten vor den Magnetzündern der Torpedos deutscher U-Boote geschützt werden. Aber was geschah dann?“
Wieder war Haze an der Reihe.
- „Es heißt, dass ein Test außer Kontrolle geriet und ein Kriegsschiff, die USS Eldridge, vollkommen unsichtbar wurde und sogar kurzzeitig im 500 Kilometer entfernten Hafen von Norfolk, Virginia, auftauchte …“
Terry Haze punktete mit umfassendem Detailwissen, doch lag in seiner Stimme eine gewisse Beunruhigung. Shane nahm den Faden auf.
- „Nun, für das Auftauchen der USS Eldridge in Norfolk gibt es keine Augenzeugen, wohl aber für das Unsichtbarwerden, vielleicht sogar Verschwinden des Schiffes auf hoher See. Im Oktober 1943 wurde es bei einem Experiment einem starken Kraftfeld ausgesetzt und ein gewisser Carl Meredith Allen, der auf der SS Andrew Furuseth, einem Schiff der
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