Mount Maroon
Dick lachte und nachdem die Sonne vollständig aufgegangen war, stieg er in den bequemen grün lackierten Wagen mit dem nostalgisch anmutenden weißen Dach und betätigte die Zündung.
Sie trennten sich an der Ausfallstraße nach Annapolis. Mr. Dick hatte angeboten, ihn bis dorthin zu fahren, aber Peter wollte dem netten älteren Herrn nicht einen noch größeren Umweg abverlangen. Dieser ließ sich aber im Gegenzug nicht davon abbringen, Peter zusammen mit seiner Karte eine 100-Dollar-Note zuzustecken. Peter könne sie ihm ja zurückschicken, wenn er wohlbehalten zuhause angekommen sei, sagte er und zeigte das traurige Lächeln des Abschieds. Nachdem Mr. Dicks Lincoln hinter einer Biegung verschwunden war, besah sich Peter die Karte:
Arthur M. Dick
salesman for scarfs & ties
84, 17th Street SE
Rochester, M, 55904-7921
Dazu eine Handynummer, aber keine E-Mail-Adresse. Mr. Dick war vom alten Schlage.
Den Rest des Weges hatte Peter in dem kleinen Lieferwagen eines Kaugummi kauenden, wortkargen Paketzustellers zurückgelegt. Sie hatten sich nur kurz über das Fahrtziel verständig, wobei es Peter seltsam vorgekommen war, dass ein Auslieferungsfahrer Mayfield nicht kannte, das aufgrund einer stadtplanerischen Glanzleistung eine überregionale Bekanntheit erlangt hatte. Mayfield war ein neu geschaffenes Stadtzentrum, das auf einer alten Industriebrache unter großem Sanierungsaufwand errichtet worden war. Die architektonisch wertvolle Bausubstanz wurde genutzt, die schönen historischen Fassaden erhalten oder ansprechend restauriert. So entstand ein in sich geschlossenes, harmonisches Gefüge luxuriöser Wohnungen, kleiner Werkstätten und schmucker Läden. Ellen und Peter waren mit ihrer Tochter vor drei Jahren, gleich nach der Fertigstellung dorthin gezogen. Auch Peters Verlag hatte sich hier angesiedelt. Mayfield wurde zu einem äußerst beliebten Wohnquartier und die Wartelisten der Miet- oder Kaufgesuche waren mittlerweile sehr lang. Peter erzählte ihm davon, aber der Bursche schien ihm nicht zu glauben.
Von dort aus, wo ihn der Fahrer abgesetzt hatte, waren es nur drei Blocks zu gehen. Peter bog in die Atwood Street ein, ging über den Market Square und folgte der Willow Road bis zu ihrem Ende. Alles schien normal. Doch je näher er Mayfield kam, desto schneller begann sein Herz zu schlagen. Die mangelnde Betriebsamkeit des ansonsten so lebhaften Stadtteils konnte man der Mittagshitze zuschreiben, nicht aber das Fehlen des Kopfsteinpflasters oder der pittoresken Stirnseiten der Gebäude. Das Gebiet sah aus wie vor seinem Umbau. Peter lief durch die Straßen, sah aber lediglich die halbverfallenen Fabrikhallen und Freiflächen mit ihren verrosteten Maschinen. Weder sein Wohnhaus noch der Verlag waren vorhanden. Auf der anderen Seite des Areals war eine großformatige Hinweistafel aufgestellt. Peter ging langsam um sie herum und las: „Hier entsteht ein neuer Stadtteil – Mayfield. Die neue Lebens
Art
“. Darunter gab eine Zeichnung Aufklärung darüber, wie es hier einmal aussehen sollte. Sie glich exakt dem, was Peter in Erinnerung hatte. Peter schlug seine Hände vors Gesicht, sank auf die Knie und stieß einen erbarmungswürdigen Schrei aus. Schließlich setzte er sich mit dem Rücken an einen Pfosten gelehnt auf den Boden. Er versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Aber alles, was sein Gedächtnis anbot, passte nicht zu dem, was er vor sich sah. Die Welten vor und hinter seinen Augen ließen sich nicht miteinander in Einklang bringen. Tränen bildeten sich und liefen über seine glühenden Wangen. Er griff nach dem zweifach gefalteten Zettel in seiner Brusttasche. Der einzige Name, der keine Negation hervorgerufen hatte, war Ellen McGywer, geborene Hudson, wohnhaft: 83 Chestnut Street, York, PA 17401, Pennsylvania.
10. KRISENSTAB I
Obwohl Elliot Harper und Lorenz Veitman viel zu selten die Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch hatten, sprachen sie seit mehr als einer halben Stunde kein Wort miteinander. Ihre Gedanken drehten sich darum, wie sich die Dinge entwickeln würden, welche Richtung das Projekt in Zukunft nähme, ja ob es überhaupt eine Zukunft gab. Es war einer der Vorzüge der späten Jahre, dass eine natürliche Contenance einsetzte, die innere Spannungszustände zumindest nach außen hin abzuschirmen verstand. Dadurch würde auch alles, was sie heute an Erklärungen und Ratschlägen in die Diskussion einbringen konnten, auf eine unkomplizierte Weise vor dem Verdacht der
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