Mount Maroon
auslösen werden. Wir können auf diese Weise zwischen wahren und falschen Erinnerungen unterscheiden. Zuvor müssen wir aber noch eine andere Diagnose ausschließen. Wir beginnen mit einem PET, einer Positronenemissionstomographie. Das ist eine Hirnscan-Methode, bei der man mithilfe schwach radioaktiver Substanzen die Stoffwechselaktivität einzelner Gehirnregionen beobachten kann.“
Peter hörte nur noch halbherzig zu. Seine Aufmerksamkeit hatte sich an einem Wort verhakt, das ihm entscheidend vorkam.
- „Eine andere Diagnose?“
- „Ich meine einerseits innere Verletzungen des Kortex, also der Hirnrinde als Folge des Unfalls und zum anderen, nun ja … Sie sind jetzt schätzungsweise 40 Jahre alt.“
Der Psychologe sagte es wie 80 oder 90. Dann ließ er wieder diese unerträgliche Pause folgen.
- „Es gibt zwei Varianten der Alzheimer-Erkrankung. Die sporadische Form ist eine, die mit zunehmendem Alter bei relativ vielen Menschen auftritt. Im Alter von 65 ist jeder Zehnte betroffen, mit 80 jeder Vierte und mit 85 schon jeder Zweite, wenn auch unterschiedlich stark. Die zweite Form, die familiär bedingte, kann dagegen schon zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr einsetzen. Sie beruht auf einer vererbten Genmutation. Da Sie sich an Ihre Eltern und Großeltern nicht erinnern können, oder, sagen wir so, berechtigte Zweifel an der Korrektheit Ihrer Erinnerungen bestehen, sollten wir diverse Tests durchführen.“
Peter war schockiert. Sollte seine Gedächtnisstörung tatsächlich ein frühes Symptom einer Alzheimererkrankung sein? Offenbar gab es diese Fälle, wenngleich ihr Auftreten in den USA nach Martys Angaben bei lediglich fünf Prozent lag.
Der Raum, in den Peter geführt wurde, war an Übersichtlichkeit kaum zu überbieten: eine Tür, ein Fenster zu einem Kontrollraum und eine Neonröhre, die den cremefarbenen PET-Scanner fahl beschien. Ein Krankenpfleger half ihm auf die Liege, deren Kopfteil halbkreisförmig ausgeformt war. Es war hart wie Beton und so schmal, dass Peters Schädel gerade so hineinpasste. Nachdem der Kopf mit einem Haltegurt fixiert und der Laser justiert war, bewegte sich die Liege wie von selbst in die enge Röhre. Vor Peters Augen entschwand die Welt, wurde ersetzt durch eine bleiche konturlose Masse. Er versuchte, die Augen geschlossen zu halten, an irgendetwas Angenehmes zu denken und so der klaustrophobischen Gegenwart zu entfliehen, aber das gleichmäßige Surren der Maschine dämpfte alle Hoffnungen, dass dies gelänge. Eine Kanüle wurde in seinen Arm geführt, durch die das leicht radioaktive Glukose-Isotop ins Blut gelangte, welches die Blut-Hirn-Schranke rasch zu passieren vermochte. Der Scanner lieferte nun Informationen darüber, wie schnell die Gehirnzellen die Substanz aufnahmen, was Rückschlüsse darauf zuließ, wie effizient die Zellen arbeiteten und welche miteinander kommunizierten. Über den anderen Arm wurde Blut entnommen, das im benachbarten Labor daraufhin untersucht wurde, ob das Isotop wie vorgesehen absorbiert wurde. Peter konnte nicht sagen, wie lang er in der Röhre lag. Es dauerte lange, bis sie ihn schließlich ohne jede Vorankündigung herauszogen. Eine Viertelstunde später saß er nach einem kurzen Imbiss und reichlich schwarzem Kaffee wieder in Martys Büro. Was jetzt kam, war der klassische Teil der psychologischen Diagnostik; Tests, die alle kognitiven Fähigkeiten des Gehirns auf ihre Tauglichkeit überprüfen sollten: Denken und Problemlösen, Aufmerksamkeit und Konzentration, visuell-räumliche und motorische Wahrnehmung sowie Lernen und Speichern.
Peter bekam eine Geschichte vorgelesen und hatte die Aufgabe, sich später an möglichst viele Details zu erinnern. Das Problem war, dass diese Geschichte fast ausschließlich aus Details bestand. Es war eine Perlenkette aus Belanglosigkeiten, deren roter Faden ausgesprochen dünn war. Es ging um einen in London ansässigen chinesischen Antiquitätenhändler, der zu einer Auslieferung in den Lake District reiste. Seltsamerweise erinnerte sich Peter zwar an das Paisleymuster am Schaft der Stiefel der hoch gewachsenen, schmallippigen Frau im rosafarbenen Regenmantel, die sich im viktorianisch geprägten Wartesaal des Bahnhofs von Luton neben ihn setzte, nicht aber an den Namen des Chinesen und die Straße, in der er sein Geschäft hatte. Hatte Peter wirklich, wie er glaubte, als Redakteur gearbeitet und einen Großteil seiner Zeit mit der Prüfung von Texten verbracht? Die unumstößliche Tatsache,
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