Mount Maroon
hielten sie auf den Sitzen und die Stabilität der Kabine tat ihr Übriges. Lediglich die Scheibe war gesplittert, aber nicht gebrochen. Nachdem die Maschine zum Stillstand gekommen war, saßen sie einige Sekunden reglos da. Gefühlsmäßig schwankten sie zwischen der Freude noch am Leben zu sein und einer Vorahnung der Gefahr, in die sie sich hineinmanövriert hatten. Luther war der Erste, der sich zu einem Kommentar durchringen konnte.
- „Soeben sind wir am Mount Maroon gelandet. Wir hoffen, Sie hatten einen angenehmen Flug. Die Außentemperatur …“, er zögerte, „ …-anzeige funktioniert nicht mehr.“
Er sagte es lakonisch, mit einem fast bitteren Beigeschmack, typischer Galgenhumor. Peter stemmte die Tür auf und kletterte heraus. Luther stieg ihm nach, da sich die Tür auf seiner Seite aus irgendeinem Grund nicht öffnen ließ. Der Raum war dunkel, einseitig jedoch durch das schräg eindringende Mondlicht erhellt. Sie nahmen die Taschenlampe aus dem Cockpit. Im Lichtkegel erkannten sie das Chaos, das sie angerichtet hatten, umgekippte und zerschlagene Einrichtungsgegenstände, geborstenes Glas, überall lose Blätter. Es war auffallend still, was wohl vor allem am plötzlichen Fehlen des dröhnenden Motorengeräusches lag. Für die Freunde war die Stille aber auch ein Sinnbild für die Ruhe vor dem Sturm. Peter erklomm einen Haufen aus groben Bruchstücken und Büchern. Selbst in einem aufgeräumten Büro wäre es schwierig auf Anhieb nach dem richtigen Aktenordner zu greifen und dasjenige Dokument herauszuziehen, welches Antworten brachte. Antworten zu denen sie bislang nicht einmal die richtigen Fragen formulieren konnten. Hier und da fischte Peter nach einem losen Blatt, verstand aber nicht, worauf sich die darauf enthaltenen Angaben bezogen. Zumeist waren es ausschließlich Formeln und Berechnungen, zuweilen Genehmigungen zu Tests mit kryptischen Namen. Plötzlich hörten sie das Aufheulen einer Sirene. Ihre Ankunft war bemerkt worden, ein Begrüßungskomitee unterwegs. Es wurde höchste Zeit, den Ort der Verwüstung zu verlassen. Als Peter sich zum Gehen wandte, fiel der Lichtkegel seiner Lampe auf das Bildnis eines Jünglings, der kopfüber aus einem altertümlichen Streitwagen stürzte. Peter ergriff eine Ecke des massiven, goldfarbenen Rahmens, zog das gesamte Gemälde heraus und betrachtete es. Es faszinierte ihn. Erst als Luther ihn am Arm packte, riss er sich los. Er legte das Bild auf einen der Trümmerstapel. Aus den Augenwinkeln erkannte er in der hinteren Ecke des Raumes zwei funkelnde Punkte. Im Schein der Taschenlampe erkannte er einen größeren Hund, der scheu zu ihnen herübersah und leise winselte.
- „Ist ja gut, wenn du uns nichts tust, tun wir dir auch nichts.“
Die Frage war jetzt, was ihnen einen besseren Schutz bieten konnte, der Park mit seiner an den Rändern dichten Bewaldung oder die ineinander übergehenden Gebäude. Die Flüchtenden entschieden sich für Letzteres, vielleicht auch von der vagen Hoffnung getragen, doch noch auf brauchbare Informationen zu stoßen. In erster Linie galt es aber, ihr Leben zu retten. Sie gelangten in einen schmalen Zwischenraum, der lediglich eine Garderobe und einen großen Spiegel enthielt, dann in eine Art Vorzimmer, offenbar der Arbeitsplatz der Sekretärin. Hier sollte man sich umsehen. Das Sekretariat war ein Ort, an dem die Fäden zusammenliefen, hier wurden sie entwirrt und neu verknüpft. Hier wurde geordnet, sortiert, aufbereitet, abgeheftet, es war das Reich der Vermerke und Randnotizen, die Durchgangsstation für Fragen und Antworten. Doch die Sirene mahnte zur Eile. Hier konnten sie im Augenblick nicht bleiben. Auch bot sich kein geeignetes Versteck. So beschlossen sie, später noch einmal herzukommen. Auf dem Gang hörten sie bereits die Schritte des Wachpersonals, ungeordnet und schnell. Peter und Luther liefen in die andere Richtung den Korridor hinunter. Um möglichst rasch außer Sicht zu sein, bogen sie an der ersten Kreuzung nach rechts ab, dann wieder nach links. Die schwingenden Doppeltüren, die die langen Fluchten unterteilten, waren nicht verschlossen, wohl aber die meisten der angrenzenden Räume, hinter denen ihrer Kennzeichnung nach Büros und Labore lagen. Die Sicherheitsleute würden einige Zeit brauchen, um das Flugzeug zu inspizieren. Das sollte ihnen die Chance geben, sich zu orientieren und nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen. Dann erstarrten sie. Mit einem Male waren alle Räume hell erleuchtet.
Weitere Kostenlose Bücher