Mozart - Sein Leben und Schaffen
mehr zu erfüllen; unser seelisches Leben bekommt nicht genug. Der Wegführt in der Sinfonie von Haydn über Mozart zu Beethoven. Mit dem letzteren erleben wir den seltenen Glücksfall, daß zwei auseinanderstrebende Richtungen von einem gewaltigen Geiste zusammengefaßt und als Einheit weitergeführt werden. Denn bei aller gegenseitigen Liebe und Verehrung, bei dem vielen, was sie voneinander lernten, gehen Haydn und Mozart in ihren Sinfonien gerade im Wichtigsten auseinander. Haydn war die eigentliche Kantabilität versagt. Mozart hat jene motivischen Gedankenentwicklungen, die Haydns größtes Verdienst ausmachen, nur in einzelnen Fällen übernommen. Freilich war Mozarts Entwicklung nicht abgeschlossen, als der Tod ihm die Feder aus der Hand nahm, und gerade seine Sinfonien zeigen ein so gewaltiges Emporsteigen, daß man manchmal Beethoven nur als die logische Fortführung von Mozarts eigenem Beginnen betrachten möchte. Die Kantabilität ist das, was Mozart in die Sinfonie brachte. »Es sind die Ecksätze der Sinfonie, die Allegri, an denen Mozart eine Reform vollzog. Sie erstreckte sich nicht wie die Haydns auf die Entwicklung, Durchführung und Ausnützung der Themen, sondern sie betraf die Themen selbst. In sie führte er ein Element ein, welches die Zeitgenossen als ein »kantabiles« bezeichnen. Was das heißen soll, versteht man sehr leicht, wenn man das Hauptthema im ersten Satz der bekannten D-dur -Sinfonie Mozarts (Nr. 38 der neuen Gesamtausgabe von Breitkopf & Härtel) oder das entsprechende in seiner Es-dur -Sinfonie (Nr. 39 ebendaselbst) mit irgend einem ersten Allegrothema des letzten Haydns vergleicht. Hier immer rasche, vorwärtseilende Rhythmen, muntere, zuweilen leidenschaftliche Themen; immer bestimmte und fertige Äußerungen einer aktiven, positiv kräftigen Stimmung. Dort, bei Mozart: verweilende, sich ausbreitende Motive, in denen eine schwere Empfindung nach Ausdruck ringt, das Pathos eines vollen Herzens, welches die Formen des menschlichen Gesangs bald fest ergreift, bald nur für einen kurzen Moment zu streifen scheint. Diese, im höheren, im Schillerschen Sinne sentimentalen Elemente des Seelenlebens waren der älteren Instrumentalmusik selbstverständlich nicht fremd; aber sie wurden dort in der Regel für sich gehegt und blieben vorzugsweise auf die langsamen Sätze beschränkt;in den lebhafteren erhielten sie höchstens Nebenplätze. Nach der Meinung vieler machte sich daher Mozart einer Stilvermischung schuldig, indem er jene sentimentalen Elemente in die Hauptthemen und an andere wichtige Stellen der Allegri hineinzog, und noch der verdiente Nägeli nannte den Meister wegen jener Kantabilität, durch die ein Beethoven mit vorbereitet wurde, einen ›unreinen Instrumentalkomponisten‹. Richard Wagner meint etwas ähnliches wie der hochverdiente Gelehrte Hermann Kretzschmar, dessen Ausführungen wir eben anführten, wenn er sagt: »Mozart hauchte seinen Instrumenten den sehnsuchtsvollen Atem der menschlichen Stimme ein, der sein Genius mit weit vorwaltender Liebe sich zuneigte. Den unversiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das Herz der Melodie, gleichsam in rastloser Sorge ihr, der nur von Instrumenten vorgetragenen, ersatzweise die Gefühlstiefe und Inbrunst zu geben, wie sie der natürlichen menschlichen Stimme als unerschöpflicher Quell des Ausdrucks im Innersten des Herzens zugrunde liegt. – So erhob er die Gesangsausdrucksfähigkeit des Instrumentalen zu der Höhe, daß sie die ganze Tiefe unendlicher Herzenssehnsucht in sich zu fassen vermochte.«
Köchels musterhaftes »chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Mozarts« zählt neunundvierzig Sinfonien auf. Die große Gesamtausgabe bringt ihrer siebenundvierzig. Durch Jahrzehnte lagen davon nur elf im Druck vor. Bei dem außerordentlichen Ruhm und der stets wachsenden Beliebtheit, die Mozart bald nach seinem Tode zuteil wurde, wäre es verwunderlich, wenn man sich wirklich Bedeutendes so lange hätte entgehen lassen. In der Tat hat die große Mehrzahl dieser Sinfonien nur biographisches Interesse. Gewiß fehlen auch diesen Durchschnittsarbeiten niemals hübsche Einfälle und schöne Einzelheiten, aber für die Kenntnis des großen Mozart haben sie keine Bedeutung. Es sind übrigens meistens keine Sinfonien in unserem Sinne, sondern wahren den Charakter der italienischen Ouvertüre nach Form und Inhalt, der meist allgemein rauschende Festesfreude anstrebt. Andere wieder gleichen mehr Serenaten
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