Mozart - Sein Leben und Schaffen
Billardspiel eine geistige Anstrengung ganz anderer Art erfordern, und es ist bekannt, wie gerade in solchen Zeiten die derbe Spaßhaftigkeit des Zirkusclowns auf ästhetisch sehr fein eingestimmte Gemüter wirkt. Auch Beethovens Briefe bezeugen dieseGegenarbeit des Körpers wider die übermächtige Anspannung der geistigen Kräfte. Wenn er in seinen erschütternden, durch alle Welten hinreißenden Improvisationen sein Innerstes offenbart hatte, pflegte er aufzuspringen und entsetzte mit gellendem Lachen die ergriffene Zuhörerschaft. Für ihn war das eine Befreiungstat, ein Losschütteln jener gewaltigen Urkraft, die so geheimnisvoll ist, daß sie auch den schreckt, in dem sie waltet. Was sich so in gewaltmäßiger Art beim Titanen offenbart, das gewann bei dem schönheitsseligen Mozart, der im Paradiesestraum wandeln durfte, um seine göttlichen Lieder zu erlauschen, die heitere Form des harmlos spielenden Kindes.
Als sie im Januar 1768 in Wien eintrafen, mußten sie einsehen, daß die Verhältnisse sich gegenüber ihrer letzten Besuchszeit wesentlich verändert hatten. Zwar an sich bezeugte der kaiserliche Hof den Mozarts die alte persönliche Anteilnahme. Aber die Kaiserin Maria Theresia besuchte seit dem Tode ihres Gatten weder Theater noch sonstige Musikaufführungen; der Kaiser Joseph befleißigte sich in seiner ganzen Hofhaltung größter Sparsamkeit, die nach den schweren Opfern des siebenjährigen Krieges am Platze sein mochte, aber sich doch gerade in der Knauserei gegen die Künste schwer rächte, zumal auch der Adel dem Beispiel des Hofes folgte. Denn sicher liegt hier der letzte Grund dafür, daß das Wiener Publikum in seinem Vergnügungsgeschmack tiefer stand als je. Leopold Mozart erkannte das sehr wohl, wie seine Worte zeigen: »Daß die Wiener, in genere zu reden, nicht begierig sind, Ernsthaftes und Vernünftiges zu sehen, auch wenig oder gar keinen Begriff davon haben und nichts als närrisches Zeug: Tanzen, Teufel, Gespenster, Zaubereien, Hanswurste, Lippel, Bernardons, Hexen und Erscheinungen sehen wollen, ist eine bekannte Sache, und ihre Theater beweisen es täglich. Ein Herr auch mit einem Ordensbande wird wegen einer hanswurstlichen Zote oder einfältigen Spasses mit den Händen klatschen, lachen, daß er fast aus dem Atem kommt, hingegen bei der ernsthaftesten Szene, bei der rührendsten und schönsten Aktion und bei den sinnreichsten Redensarten mit einer Dame so laut schwatzen, daß andere ehrliche Leute kein Wort verstehen.«
Obendrein bot Wolfgang Mozart ja auch für Wien nicht mehrdie Sensation des Wunderkindes. Er war jetzt immerhin zwölf Jahre alt; das war natürlich etwas ganz anderes, als wenn ein sechsjähriges Kind konzertierte. Sich über die großartige künstlerische Entwicklung des Knaben klar zu werden, hätte man bei der oberflächlichen Vergnügungssucht gar nicht versucht, selbst wenn man es vermocht hätte. Zu der Gleichgültigkeit des Publikums kam aber der Neid und die ängstliche Eifersucht der Berufsgenossen. Das Wunderkind hatte man zu seiner Zeit gelten lassen, das war eine Sache für sich; jetzt aber erkannten die Fachleute in dem zwölfjährigen Knaben den Konkurrenten, und da ließen sie es auch an den erbärmlichsten Mitteln nicht fehlen, ihn vom Kampfschauplatz zu verdrängen.
Da war es doch der Kaiser, der eine Gelegenheit herbeizuführen suchte, bei der der junge Künstler sein Können zu zeigen vermochte. Er forderte Mozart auf, eine Oper zu komponieren und äußerte dabei den Wunsch, ihn selber sie dirigieren zu sehen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte dieses Verlangen des Kaisers wohl alle Tore geöffnet. Nicht so jetzt. Denn die Theater wurden nicht von einer kaiserlichen Intendanz verwaltet, sondern waren an einen Unternehmer verpachtet, für den der Hof eigentlich nur Lasten bedeutete. Der Kaiser konnte also etwas weiteres nicht tun, als dem damaligen Unternehmer Afflisio, einem Erzgauner, seinen Wunsch auszusprechen. Der alte Mozart seinerseits suchte die Sänger zu gewinnen, was bei den damaligen Verhältnissen des Opernlebens am wichtigsten war, und so schloß denn auch Afflisio mit Wolfgang den Kontrakt ab, die Oper aufzuführen und mit hundert Dukaten zu honorieren.
Da die komischen Kräfte besser waren, entschied man sich für eine komische Oper, zu der Marco Coltellini den Text schuf. Es war »La finta semplice« (»Die verstellte Einfalt«), eine komische Oper in drei Akten. Soviel Schwierigkeiten sich auch gleich ergaben, der
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