Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
»Ja, eine ganze Weile.« Um deutlich zu machen, wie weit die Zeit zurücklag, fügte Corkbowl hinzu: »Ich hatte damals noch einen Bart.«
»Das müssen ja rauschhafte Zeiten gewesen sein«, sagte Beth. »Ein Bart und eine Freundin! Haben Sie beide gleichzeitig eingebüßt?«
»Nein.« Corkbowl lächelte. Lachte kurz auf. »Nein, der Bart blieb danach noch ein paar Wochen dran. Die Freundin verschwand, als sie begriff, dass es mir mit der Beziehung nicht ganz so ernst war wie ihr. Der Bart verschwand, als ich irgendwann begriff, dass ich damit aussah wie ein Tier, dem es egal ist, ob es den Winter überlebt.«
Während Beth sich das vorzustellen versuchte, verwarf er schüchtern einen Vorschlag, der ihm eingefallen war, und machte ihn dann doch: »Ich könnte etwas zu essen machen, wenn Sie mögen. Wenn das eine Hilfe wäre. Ich koche etwas und bringe es mit nach, äh … wo Sie wohnen.«
Interessiert fragte Beth nach.
»Ich habe ein Dorschrezept. Ich backe ihn in Alufolie.« Selbstbewusst gestand er: »Das ist wohl meine Spezialität.« Das Selbstbewusstsein knickte ein. »Aber beim letzten Mal war er wässerig«, erinnerte er sich, ein wenig ratlos. »Aus irgendeinem Grund hatte es den Geschmack ausgezogen.«
Beth hatte einen Namen dafür. »Ausgezogener Dorsch.«
»Wobei … « Corkbowl hob die Finger, als wollte er die Möglichkeiten durchzählen. »Wobei er vielleicht nicht wässerig wird, wenn ich zwei kleinere Dorsche backe.« Ja, das war eine gangbare Lösung. »Ich glaube, wenn ich zwei kleine Jungdorsche nehme, könnte – «
»Milchdorsche.«
»Hm?« Corkbowl stutzte. »Milchdorsche?«
»Ja, wenn sie frisch abgestillt sind. Oder vielleicht noch an der Mutterbrust hängen.« Beth nickte ihm wohlgefällig zu. Ihr Wohlgefallen galt der gefurchten Denkerstirn, mit der er hoffnungsvolle Veränderungen an seinem Rezept vornahm, galt der ernsten Miene, mit der er sich ihren Blödsinn anhörte.
Keck bemerkte Corkbowl: »Und ich habe mir gerade ein neues Jackett gekauft, das wäre dann eine gute Gelegenheit, es vorzuführen.« Plötzlich begriff er den Witz. »An der Mutterbrust hängen!«
Beth stützte sich auf einen Ellbogen. »Dann kommen Sie richtig im neuen Galajackett, Corkbowl? Ich bin geschmeichelt.«
»Das wäre zu viel behauptet, so richtig sensationell ist das Jackett nicht.« Corkbowl machte seinerseits einen Witz: »Ein Solalajackett ist wahrscheinlich das Äußerste, was ich schaffe.«
Die Strickjacke rutschte Beth von der Schulter, als sie aufstand. Mit einer schwungvollen Bewegung fing sie sie im Fallen auf. »Dann passen Sie zu uns. Mehr als so lala kriegen wir auch nicht hin.«
26
16 Uhr 40
C hurchill saß in seinem Atelier in der Nische unter dem Oberlicht. Er betrachtete ein Porträt seines Vaters. Sein Vater, dieser Obelisk in seinem Leben, war mit einer gepunkteten Fliege dargestellt, halb unter einem schweren Pelzmantel verborgen, und forsch nach oben gedrehten Schnurrbartspitzen. Churchill hatte das Bild nicht gemalt; der Maler war unbekannt. Einmal hatte er sich darangemacht, das Porträt zu kopieren, und Halluzinationen gehabt, in denen sein Vater mit ihm sprach. Jetzt sprach das Porträt nicht mit ihm, obwohl er nichts dagegen gehabt hätte. Es wäre auf jeden Fall besser gewesen, als dem Hund zuzuhören, der wie ein schwarzes Loch vor dem Fenster das Licht aussperrte und mit seiner leisen, grässlichen Stimme vor sich hinschwatzte.
Churchill starrte das schwarze Loch giftig an. »Kannst du nicht woanders hingehen?«
Black Pat schlenderte zur Ateliertür, die offen stand, damit der üppige Duft des Obstgartens hereinkam. Churchill schraubte sich auf seinem Lehnstuhl herum, um zu sehen, wo der Hund hingegangen war. Den hölzernen Lehnstuhl mit den drei anmutig geschwungenen massiven Beinen und den gewendelten Sprossen in der gebogenen Lehne hatte ihm einst sein Freund Sir Ian Hamilton geschenkt. Churchill beobachtete Black Pat, einen Lappen zum Pinselabwischen in der Hand.
Black Pat tat nicht viel mehr, als schnuppernd die Nase in den Wind zu halten. Aber seine Anwesenheit machte es Churchill schwer, weiter an seinem unvollendeten Gemälde eines Teichs mit großen Goldorfen zu arbeiten. Er nahm die Kappe von einer Tube Gelb ab und drückte zu fest. Ein dicker Strahl Farbe ringelte sich auf die Palette.
Über der Ateliertür hing noch ein anderes Geschenk, der ausgestopfte Schädel eines schwarzen Stiers, mit dem mächtigen Hals an einer Holztafel befestigt. Auf der
Weitere Kostenlose Bücher