Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
Beth sammelte die Teller ein. »Wer hilft mir mit dem Abwasch?«
»Ich«, sagten Esther und Corkbowl im Chor.
»Niemand?«, fragte Beth erneut, den Laserblick auf Big Oliver gerichtet.
»Ich helfe Ihnen«, wiederholte Corkbowl.
Beth beugte sich zu Big Oliver vor. »Will mir denn gar niemand helfen?«
Big Oliver zog das gequälte Gesicht eines Mannes, der Sand in den Mund bekommen hat. Während er hinter Beth her in den großen Küchenbereich trottete, begehrte er leise und unwirsch zu wissen, warum er zu diesem sofortigen Abwasch antreten musste. Vom Spülbecken aus brachte Beth ihn mit einem scharfen Blick zum Schweigen. »Weil ich es sage.« Sie deutete mit dem Kinn auf Esther und Corkbowl, die außer Hörweite im Esszimmer saßen. »Weil das der Plan ist.«
Corkbowl schob seine vorgerutschte Brille auf den Nasenrücken zurück. Seine Finger zogen sich auf der Tischdecke wieder zur gewohnten Faust zusammen. Neben ihm schaute Esther in den Garten. Eine instinktive Anziehungskraft lenkte ihre Augen dorthin.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?« Er knuffte sie freundschaftlich mit dem Ellbogen.
Sie versicherte, ja, es gehe ihr gut.
»Esther, ist irgendetwas passiert?« Corkbowl erinnerte sich an ihr Gespräch in der Bibliothek, an die Autofahrt. »Weil, ich glaube das einfach nicht, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist. Nicht so richtig jedenfalls.«
Augen auf den Garten. Gemustert von Zedern- und Pappelschatten dehnte sich der große Garten hinter dem Haus bis zu dem wilden Strich Stechpalmen aus, der ein öffentliches Waldstück begrenzte. In den Rasen gesetzt waren ein Beet mit blühenden Sträuchern sowie ein Eibenbusch und ein alter knickwüchsiger Apfelbaum.
Hinter ihnen aus der Küche drang leises Geplapper. Big Oliver und Beth stapelten nasses Geschirr auf das Abtropfbrett.
»Wenn ich ganz ehrlich sein soll, haben Sie vermutlich recht.« Lautes Geschepper: Big Oliver hatte einen Schwung Besteck ins Spülbecken fallen lassen. Esther fasste Zutrauen und riskierte einen Blick auf Corkbowl. »Kann ich Ihnen davon erzählen? Ich wollte es Ihnen neulich schon erzählen, und dann … « Sie fühlte, dass der schwarze Söldner ihr auf den Fersen war, eine feindliche Macht, die dabei war, sie aufzuspüren. »Ich weiß nicht, ob mir genug Zeit bleibt, aber … « Dann sei eben schnell, tu es sofort. »Corkbowl, hätten Sie was dagegen?«
»Ganz und gar nicht, Esther.« Corkbowl blickte über die Schulter in die Küche, wo Big Oliver seine Frau anfrotzelte, und versuchte einzuschätzen, wie lange sie wohl noch ungestört bleiben würden. Er sah das Problem nicht. »Wir haben reichlich Zeit.«
Doch die Zeit war um.
In der Mitte des Gartens stieg eine fedrige Fontäne aus weißem Pampasgras auf. Und wie ein Brandloch im Zelluloid lümmelte dort Black Pat.
Sehr beiläufig grüßte er Esther mit einer leichten Hebung des Kopfes und stand auf. Spielerisch drückte er auf Hundeart den Rücken zu einer Streckung durch, die immer ausgiebiger und genüsslicher wurde. Die Brust am Boden, den schwarzen Hintern himmelwärts gereckt. Black Pats Gesicht legte sich vor Wohlbehagen in Falten, die Vorderbeine schoben sich tief in den Rasen. Vor lauter Entspannung musste er gähnen, die Zungenspitze elegant nach oben gebogen. Ein leiser hoher Presston entwich ihm: Iau!
Angenehm erfrischt zockelte Black Pat auf die Glasfront zu. Er blieb stehen. Maulwürfe! Seine Pfoten scharrten einen Erdhaufen auf.
Esther nahm ihren ganzen Mut zusammen. Sie sprach mit der atemlosen Entschlossenheit von einer, der die Zeit davonläuft. »Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben. Michael. Heute ist sein Todestag.«
»Oh, Esther.«
»Er war ein guter Mann, ein guter Ehemann. Er war ein tapferer Mann.« Ihr Lächeln verwehte sofort. »Er war immer sehr tapfer.«
Corkbowl hörte, wie ihr die Stimme zu brechen drohte. »Ja.«
»Michael hat hart dagegen angekämpft, und das ist mir furchtbar wichtig.« Esther verstummte. »Weil … «, hob sie von Neuem an und verstummte wieder.
»Esther?«, sagte Corkbowl.
Nein, Esther, sag es nicht. Black Pat wollte sie zwingen, es nicht auszusprechen.
Und dann sprach sie es doch ganz leise aus. »Er hat sich das Leben genommen. Michael hat Selbstmord begangen.«
Esther wehrte sich gegen Black Pats schreckliche Willenskraft, erinnerte sich an Michaels langsamen Verfall. Es war ein langer und zunehmend verzweifelter Kampf mit einer Dunkelheit gewesen, die in mondlosen Wellen anbrandete, ihn wochenlang
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