Mr. Joenes wundersame Reise
sagte Manisfree, »kamen wir überein, eine Sprache zu konstruieren, die sich weitestgehend an die Lautformen des Angelsächsischen anlehnte. Natürlich gefiel das der Französischen Abteilung überhaupt nicht. Dort hatte man das Frühprovencalische als Modell zugrunde legen 146
wollen; doch wir überstimmten die Verfechter dieser Position.«
»Trotzdem nahmen wir einen gewissen Einfluß«, sagte Professor Vishnu. »Wenn wir auch eine angel-sächsische Buchstabenfolge durchsetzen konnten, so entschieden wir uns hingegen für eine frühprovencalische Aussprache. Andererseits merzten wir jedoch alles aus, was auf indoeuropäische Wurzeln hätte schließen lassen können.«
»Die vorbereitenden Untersuchungen und die Feldforschung waren überaus umfangreich«, er-zählte Dalton. »Gottseidank stand uns Miß Hua zur Verfügung, die die meiste Arbeit übernahm. Es ist eine Schande, daß das Mädchen so häßlich ist.«
»Diese Chorowaiter der ersten Generation sind noch bi-lingual«, erklärte Manisfree, »doch schon ihre Kinder oder zumindest ihre Enkel werden ausschließlich Chorowaitisch sprechen. Ich hoffe, daß ich diesen Tag noch erlebe. Schon jetzt kann man den Einfluß unserer neuen Sprache auf die Gemeinschaft nachweisen.«
»Bedenken Sie zum Beispiel«, übernahm Blake wieder das Wort, »daß es im Chorowaitischen keine Worte gibt wie ›Homosexualität‹, ›Vergewaltigung‹ oder ›Mord‹.«
Lunu sagte, diesmal in seiner Muttersprache Englisch: »Wir nennen diese Dinge Aleewadith, was soviel bedeutet wie Dinge-die-man-nicht-sagen-darf.«
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»Ich denke«, sagte Dalton, »das zeigt, was man alles über die Semantik beeinflussen und erreichen kann.«
Lunu und Gat gingen nun zum Dorf Chorowait voraus. Dort beginnend, verbrachte Joenes den rest-lichen Tag mit der Betrachtung Chorowaits.
Er stellte fest, daß die Häuser des Dorfs aus Bir-kenbrettern und jungen Baumstämmen erbaut waren. Frauen kochten das Essen über offenem Feuer, sponnen Webfäden aus der Wolle ihrer Schafe und versorgten ihre Babies. Männer arbeiteten auf den steilen Äckern Chorowaits und wendeten die Erde mit hölzernen Pflügen, die sie selbst gebaut hatten.
Andere Männer gingen in den dichten Wäldern der Jagd nach oder fischten in den eisigen Flüssen der Adirondacks. Sie brachten von ihren Ausflügen Rehe, Kaninchen und Forellen mit, die sie mit der Gemeinschaft teilten.
In ganz Chorowait gab es keinen maschinell oder industriell gefertigten Gegenstand. Jedes Werkzeug war von den Männern eigenhändig hergestellt worden. Selbst die Messer zum Häuten der Jagdbeute waren handgefertigt oder aus dem Eisen geschmie-det, das in Form von Erz ausgegraben wurde. Und Dinge, die die Chorowaiter nicht herstellen konnten, gab es einfach nicht. Man mußte ohne sie aus-kommen.
Joenes beobachtete das Leben der Gemeinde den ganzen Tag und äußerte sich erfreut über die 148
Selbstzufriedenheit, den Fleiß und die Genügsam-keit, von der die Gemeinschaft der Chorowaiter offensichtlich erfüllt war. Professor Harris jedoch schien sonderbarerweise mit dieser Seite der Chorowaiter überhaupt nicht einverstanden zu sein und glaubte wohl, sich entschuldigen zu müssen.
»Machen Sie sich klar, Joenes«, sagte Harris, »daß dies nur ein oberflächlicher Eindruck von Chorowait ist. In Ihren Augen ist das wahrscheinlich nichts anderes als ein kindisches Experiment einiger Spinner, die sich dem Gedanken ›Zurück zur Natur‹ verpflichtet fühlen.«
Joenes hatte dieses Motto noch nie zuvor gehört und wußte auch nicht, daß in dieser Richtung ex-perimentiert wurde. Er sah, was er sah, und das erschien ihm doch recht annehmbar.
»Glaube ich auch«, seufzte Harris. »Aber es hat schon zahllose Versuche dieser Art gegeben. Viele haben vielversprechend angefangen, doch nur wenige konnten sich halten. Das Landleben hat seine Reize, vor allem dann, wenn es von gebildeten, entschlossenen und idealistischen Menschen gelebt wird. Jedoch enden solche Versuche gewöhnlich in der Desillusion, im Zynismus und in der totalen Aufgabe.«
»Wird es auch mit Chorowait soweit kommen?«
erkundigte Joenes sich.
»Wir glauben nicht«, erwiderte Harris. »Ich hoffe, wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit genug 149
gelernt. Nach eingehendem Studium früherer Versuche konnten wir gewisse Sicherungen in unsere Gemeinschaft einbauen. Im Laufe der Zeit werden Sie solche Sicherungen noch kennenlernen.«
*
An diesem Abend nahm Joenes ein einfaches und
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