Mr Monk besucht Hawaii
fertig war, konnte ich vor Müdigkeit kaum noch die Augen offen halten. Ich gab Julie und Mom einen Gutenachtkuss, dann ging ich ins Bett.
Um neun Uhr am nächsten Morgen wurde ich vom Telefon aus dem Schlaf gerissen. Ich tastete nach dem Hörer, riss ihn herunter und wäre bei dem Versuch, ihn vom Boden aufzuheben, beinahe aus dem Bett gefallen.
»Was ist?«, zischte ich in die Sprechmuschel.
»Wo sind Sie?«, hörte ich Monk fragen.
»Offensichtlich zu Hause. Hier haben Sie mich ja schließlich auch angerufen, Sie Meisterdetektiv.« Wenn ich aus dem Schlaf gerissen werde und noch nicht richtig wach bin, kann ich ziemlich unwirsch sein.
»Warum sind Sie nicht hier?«
»Das ist mein erster Tag zu Hause«, sagte ich. »Ich habe angenommen, dass ich heute frei habe.«
»Sie hatten doch gerade eine Woche Urlaub auf Hawaii. Wie viel Erholung brauchen Sie denn noch?«
»Ich muss mich vom Flug erholen.«
»Sie haben die ganze Zeit über gesessen. Ich wüsste nicht, was daran so anstrengend sein soll.«
Ich musste mich zusammenreißen. Mein Job war ziemlich schwierig, trotzdem wollte ich ihn behalten.
»Ich komme heute Nachmittag vorbei.«
»Das ist zu spät. Ich brauche Sie jetzt, ich muss arbeiten.«
»Sie haben schon wieder einen Fall?«, wunderte ich mich.
»Natürlich«, gab Monk zurück. »Ich muss beweisen, dass Dylan Swift ein Betrüger ist.«
»Können Sie das nicht morgen machen?«
»Er nimmt heute um elf Uhr seine Sendung im Belmont Hotel auf, und ich will unbedingt dort sein. Außerdem muss ich mich noch um den Mord an Martin Kamakele kümmern.«
»Was können Sie denn von hier aus bewirken?«
»Ich kann den Fall aufklären«, sagte er. »Heute noch, sofern Sie es schleunigst aus dem Bett schaffen.«
Der tief hängende Nebel über San Francisco hatte die Gebäude des Financial District verschluckt, nahm den Menschen in den oberen Etagen den Blick nach draußen und verdeckte die Sonne. In den Straßen war es windig, kalt und ungemütlich grau.
Aber wir Menschen in San Francisco kannten solche Tagesanbrüche zur Genüge, und wir gaben nie die Hoffnung auf, dass der Nebel entweder dem Wind vom Pazifik oder der Sonne weichen würde. Wenn nichts davon Erfolg hatte, fanden wir uns eben damit ab. Schließlich verlieh der Nebel der Stadt – und damit auch uns allen – einen gewissen Charakter, und das bedeutete uns viel mehr als Sonnenschein.
Das Belmont Hotel besaß besonders viel Charakter. Es war eines der ältesten Hotels der Stadt, ein viktorianisches Meisterwerk am Union Square. Es war so untrennbar mit San Francisco verbunden wie die Golden Gate Bridge, Fisherman's Wharf, die Cable Cars und der Nebel am Morgen.
An unserem letzten Hochzeitstag, bevor Mitch nach Übersee musste, brachten wir Julie zu meinen Eltern nach Monterey und verbrachten eine wunderbare Nacht im neunzehnten Stock des Belmont. Wir waren im alten Turm untergebracht, der um 1920 erbaut worden war, nicht im neuen Turm, den man in den 1970er-Jahren ergänzt hatte. Genau genommen ist er eigentlich gar nicht mehr so neu, außer man vergleicht ihn mit dem alten Turm.
Mitch und ich verließen nur hin und wieder das Bett, um die Aussicht vor unserem Fenster zu genießen. Zwischen den gedrängt stehenden Wolkenkratzern des Financial District hindurch konnten wir einen Blick auf die Bucht erhaschen. Wir schliefen nicht einmal, sondern kuschelten uns aneinander und hörten den Klängen zu, die von der Straße zu uns drangen: das Schlagen der Cable-Car-Glocken, der Wortschwall eines Predigers irgendwo am Straßenrand, ein leises Harmonikaspiel, das Hupen der Wagen, die sich auf der Powell Street stückweise vorwärtsbewegten, das Trommeln und Rasseln der Hare-Krishna-Jünger.
Es ist eine Erinnerung, die mir sehr viel bedeutet, und aus eben diesem Grund fühlte ich mich sehr unwohl bei dem Gedanken, mit Monk ins Belmont Hotel zu gehen und dort Dylan Swift zu begegnen.
Ich kann es verstehen, wenn Sie mein Unbehagen nicht nachvollziehen können. Aber mit dem Belmont verbinde ich sehr intensive Gefühle, weil ich dort Zeit mit Mitch verbrachte. Wenn Swift und ich gemeinsam in diesem Hotel waren und er wirklich mit den Toten reden konnte, dann würde ich ganz bestimmt wieder eine Nachricht von Mitch erhalten. So wie das Grand Kiahuna Poipu wegen seiner Lage am Portal zum Jenseits Swift einen guten Kontakt zu Verstorbenen zu ermöglichen schien, so würde die Luft im Belmont, was Mitch und mich anging, vor übersinnlicher
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