Mr Monster
glauben«, antwortete Marci. »Und die haben nichts mit Clayton County zu tun.«
»Ich will so schnell wie möglich weg von hier. Eine Stadt mit einem einzigen Kino kann doch kulturell nicht hochstehend genannt werden«, stimmte Rachel zu.
Ich starrte den See an und erinnerte mich an den Toten, den der Dämon im November unter dem Eis versenkt hatte.
»Willst du in eine bestimmte Stadt?«, fragte ich. »Oder läufst du einfach nur weg von hier?«
»Ich möchte aufs College«, erklärte Brooke. »Reisen, die Welt sehen.«
»Hier will doch niemand bleiben«, sagte Rachel.
»Im Sommer ist es ja ganz schön«, überlegte Marci. »Aber manchmal frage ich mich, wie wir überhaupt hierhergekommen sind.«
»Die Holzindustrie«, erinnerte ich sie.
»Ja, aber warum gerade wir ?«, fragte Marci. »Warum sind wir gerade hier und nicht woanders?«
»So schlimm ist es doch gar nicht«, schränkte Brooke ein.
»Nein, es ist viel schlimmer«, beharrte Rachel.
»Wer waren die Ersten?«, fuhr Marci fort. Sie starrte zum See. »Sind wir einfach nur die Kindeskinder von Sägewerksarbeitern, die aufgewachsen sind, ihre Träume verloren haben und hängen geblieben sind? Irgendjemand muss doch als Erster hierhergekommen sein, als noch nichts da war, und dann ist hier draußen in der Wildnis eine Stadt entstanden, die Leute haben aus dem Nichts Geld gemacht und es geschafft.« Sie blickte zum Himmel auf. »Das versteh ich einfach nicht. Wenn das die Menschen sind, von denen wir abstammen, warum sitzen wir dann herum und tun rein gar nichts?«
Rachel wollte antworten, als wir alle einen durchdringenden Schrei hörten. Er kam vom Ufer, nicht weit von uns entfernt. Wir fuhren herum, und Brooke verstärkte den Druck auf meine Schulter. Die beiden Burschen von vorhin stürzten aufgeregt aus dem Wasser. Die Mädchen, mit denen sie geflirtet hatten, wichen entsetzt zurück, und dann kreischten alle. Brooke sprang von ihrem Stein herunter und lief los, ich folgte ihr.
»Sie ist tot, sie ist tot!«
Immer mehr Menschen drängten zwischen den Bäumen hervor. Es sah aus, als zögen sich die Jungen und Mädchen am Ufer vor einem wilden Tier zurück, aus Angst, zerrissen zu werden, doch als wir nahe genug heran waren, erkannte ich den Grund des Geschreis. Halb im Wasser, halb draußen lag ein verfaulter Baumstamm im hohen Schilf, und daneben ragte ein nackter menschlicher Arm auf.
»Ruft die Polizei!«
»Sie ist tot!«
»Mir wird gleich schlecht!«
Sobald sie den Arm bemerkte, blieb Brooke stehen, doch ich ging weiter. Zwischen den Schülern, die sich zurückzogen, zögerte ich kurz, doch dann drängte ich mich durch den inneren Kreis ganz nach vorn, bis es nur noch mich und den Arm gab.
Er gehörte zu einem Frauenkörper, der knapp unter der Wasseroberfläche trieb und teilweise vom Schilf verborgen war. Die Jungen hatten den Baumstamm zufällig angestoßen und so den Körper befreit. Dabei hatte sich der Arm nach oben bewegt und die Wasseroberfläche durchstoßen. Die Hand war wie eine Kralle gekrümmt, und die abgebrochenen Fingernägel waren hellrot lackiert.
Das war der neue Killer, dachte ich.
Hinter mir hörte ich eine tiefe Stimme – eine Männerstimme. Sie schien in einem riesigen leeren Raum zu hallen.
»Was tun wir jetzt?«
Ich musste die Tote sehen, ich musste herausfinden, ob sie mit den gleichen kleinen Wunden übersät war wie die andere. »Vielleicht lebt sie ja noch«, sagte ich und lief platschend ins Wasser. »Wir müssen uns vergewissern.« Die Hand war teigig und mit Schmutz und verfaultem Holz bedeckt. Keinesfalls lebte die Frau noch. »Wir müssen sie rausziehen.«
Hinter mir pflügte noch jemand durchs Wasser, leise und weit entfernt. Ich konnte kaum etwas hören, da mir der Herzschlag wild in den Ohren dröhnte.
Ich fasste die Tote am Arm und zog, sie rutschte ein Stück weiter, war aber schwerer als erwartet. Zwei neue Hände, rau und alt, tauchten in meinem Gesichtsfeld auf, und zusammen zogen wir noch einmal. Die Tote bewegte sich, und der Arm stieg weiter aus dem Wasser auf, steif und bleich.
»Jemand hat es versenkt«, sagte ich.
»Sie klemmt unter dem Baum fest.«
»Nein«, widersprach ich. »Der Körper rutscht leicht zur Seite, er ist nicht eingeklemmt. Wir müssen seitlich in Richtung Ufer ziehen, nicht nach oben.« Wir versuchten es zusammen und schleppten den Körper ins flache Wasser, wo er dicht unter der Oberfläche trieb. Es war tatsächlich eine Frau, bleich und nackt bis auf einige
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