Mr Nanny
›Das erfahren Sie, wenn ich verdammt noch mal Lust dazu hab.‹«
Ich kratzte mich am Kopf. Er blickte mich erwartungsvoll an.
»Geh, schlaf auf der Couch, Phillip«, war alles, was ich herausbrachte.
35. Kapitel
Auszeit
»Wieso kommt Daddy nicht mit nach Aspen, Mami?«, fragte Gracie. Ihr Autositz war zwischen zwei riesigen Matchbeuteln eingeklemmt. Die eingepackten Skier ragten vom Kofferraum über die dritte Sitzreihe hinaus bis zur mittleren. Es war kurz nach Sonnenaufgang, am Freitag vor dem President’s-Day-Wochenende, und die Kinder, Yvette und ich waren auf dem Weg zum Kennedy Airport, um in den Winterurlaub nach Aspen zu fliegen.
»Weil Mom ihn nicht mehr leiden kann, darum«, antwortete Dylan sachlich. »Deshalb schläft er auf dem Sofa im Arbeitszimmer oder im Gästezimmer von Nana. Und deshalb nimmt er uns jetzt jedes zweite Wochenende.«
»Dylan!«, schimpfte ich. »Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Ich bewundere euren Vater nach wie vor sehr. Und er liebt euch über alles. Das hat nichts damit zu tun, dass wir ein paar Meinungsverschiedenheiten haben.« Ich funkelte ihn böse an. »Und was du da sagst, hilft den Kleinen nicht.«
»Lasst ihr euch jetzt scheiden?«, piepste Gracie.
»Schätzchen, das ist ein großes Wort für ein so kleines Mädchen. Alles, was du wissen musst, ist, dass Daddy und ich immer noch gute Freunde sind und dass wir immer eure Eltern bleiben werden. Und dass wir euch immer lieben werden. Aber damit wir gute Eltern für euch sein können, brauchen wir eine kleine Pause voneinander.«
Dylan redete trotzig weiter. »Sie kann Daddy nicht mehr leiden. Genauso, wie sie Anthonys Mom, Mrs. Briarcliff, nicht mehr leiden kann.«
Da hatte er recht. Ich hatte Susannah seit dem Vorfall die kalte Schulter gezeigt, hatte ihr keine Gelegenheit gegeben, mir mit scheinheiligen Entschuldigungen zu kommen. »Dylan, das reicht jetzt. Wir beide haben bereits darüber geredet. Wir haben das gemeinsam als Familie besprochen. Wenn du weitere Fragen hast, dann stell sie mir heute Abend, vor dem Einschlafen. Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Wie kommt es dann, dass du beim Abholen nicht mehr mit ihr redest, wo sie doch angeblich deine beste Freundin ist?«
»Sie war nie meine beste Freundin. Kathryn ist meine beste Freundin.«
»Okay, eine gute Freundin dann eben!« Er wandte erbost den Blick ab und starrte aus dem Fenster.
Zwei Stunden später holperte die 737 mit aufheulenden Motoren über den rissigen Asphalt der Startbahn. Ich hielt Gracies Hand fest, lehnte den Kopf zurück und starrte teilnahmslos aus dem dicken Plastikfenster. Seit dem unseligen »Vorfall« waren zwei Monate vergangen.
Ich musste einen Moment lang daran denken, wie Phillip mich angefleht hatte, mitkommen zu dürfen, doch ich ließ den Gedanken zusammen mit den Wolken, die an meinem Fenster vorbeiflogen, ziehen. Wir hatten diesen Kurzurlaub vor sechs Monaten gemeinsam gebucht, und er ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Wenn es nur nach mir gegangen wäre, hätte ich mir einen Ort ausgesucht, der weniger Grid -verseucht war. Aber egal, die Berge waren auch dort schön, und ich würde mich hoffentlich ein wenig erholen. Das Flugzeug hob ab, und mir rutschte prompt der Magen in die Kniekehlen. Gracie blickte mit einem müden Lächeln zu mir auf, die Lider auf Halbmast. Ich gab ihr ihr Kuschelhäschen und half ihr, ihren Kopf auf meinen Schoß zu legen. Es dauerte nicht lange, und sie war eingeschlafen.
Und ich auch.
Als ich erwachte, überflogen wir gerade die Rocky Mountains. Im Fensterausschnitt waren ein weiter blauer Himmel und gezackte, hohe Berge zu erkennen, deren Gipfel aus den Wolken herausragten - eine majestätische, ehrfurchtgebietende Landschaft. Ich weiß nicht, ob es an dieser Landschaft lag, dass mich plötzlich ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit überkam. Zum ersten Mal fuhr ich allein mit meinen Kindern in den Urlaub. Ohne Phillip. Ich war mir plötzlich sicher, keine Angst mehr haben zu müssen, es auch allein mit den Kindern schaffen zu können.Tatsächlich war es sogar eine Erleichterung, nicht mehr ein viertes, ziemlich großes Kind mitschleppen zu müssen, das mir ständig die Ohren vollquengelte. Ich blickte auf den Colorado River hinab, der sich funkelnd zwischen den zerklüfteten Bergen dahinschlängelte, und ja, ich war glücklich. Zufrieden. Ich wusste jetzt auf einmal, was ich wollte. Ich wollte mich scheiden lassen. Ich schreckte auch nicht mehr
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