Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)
stammte. Er sah Tante Honoria ungläubig an und hoffte, dass das alles nur ein Witz sei, dass sie gleich sagen würde: »Komm, Darwen, schnell raus hier, bevor es zu spät ist.« Aber das tat sie natürlich nicht.
Stattdessen hielt sie mit feuchten Augen eine Hand an die Brust gedrückt, wie er es bei amerikanischen Sportlern im Fernsehen gesehen hatte, wenn sie die Nationalhymne sangen.
Tante Honoria führte ihn nun ebenfalls in die Aula, wo sich die Schüler wie auf einem Paradeplatz zu ordentlichen Reihen aufgestellt hatten. Das Ende einer jeden Reihe bildete ein Lehrer, und ganz vorne, auf dem Podium, stand ein alter Mann in einer Tweedjacke, so steif und gerade, als hätte er einen Stock verschluckt. Als alle ihren Platz gefunden hatten, rief er: »Guten Morgen, Hillside!«
Zu Darwens Überraschung riefen alle (außer ihm und Tante Honoria) wie aus einem Mund zurück: »Guten Morgen, Direktor Thompson!«
»Ich habe euch alle hier versammelt, um einen Neuling in unserer Schulgemeinschaft zu begrüßen«, verkündete der Direktor. »Wir haben einen neuen Schüler, der ab heute in Miss Harveys sechste Klasse gehen wird. Bitte heben Sie die Hand, Mr. Arkwright.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Darwen begriff, dass der Direktor ihn meinte. Zögernd streckte er die Hand in die Höhe, und alle Köpfe fuhren zu ihm herum. Die Kinder sahen ihn an, klatschen drei Sekunden lang und wandten sich dann wieder ab.
»Ich bin sicher, dass Sie ihm alle Unterstützung geben werden, die er braucht«, fuhr der Schulleiter fort, »während er lernt, sich an die besonderen Bedingungen an unserer Schule anzupassen.«
Anpassen? Das kannst du vergessen, dachte Darwen.
»Außerdem möchte ich bekannt geben, dass der Debattierclub des achten Jahrgangs am letzten Wochenende den ersten Preis im großen Wettbewerb des Bundesstaates Georgia gemacht hat … zum dritten Mal in Folge. Ich bitte um Applaus für das Team und seinen Lehrer, Mr. Sumners.«
Wieder drei Sekunden Beifall.
»Und wir wollen nicht vergessen, dass der beständige Erfolg des Debattierclubs, die guten Prüfungsergebnisse der letztjährigen Abschlussklasse, aber auch unsere gelungenen Studienreisen nach Paris und Guadalajara, und wie alles, was wir hier an der Hillside Academy tun, aus den drei großen Bildungsprinzipien erwächst. Lassen Sie uns diese Prinzipien gemeinsam aufzählen.«
Und einmütig rief die ganze Schule: »Einprägen. Strukturieren. Logisch denken!«
»Jesses!«, raunte Darwen.
Seine Tante hatte das gehört, konnte mit dem Ausdruck aber offenbar nichts anfangen und flüsterte aufgeregt: »Denk doch nur, Darwen, das werden deine Freunde sein!«
Aus ihrem Mund klang es, als hätte er im Lotto gewonnen.
Darwen wollte etwas erwidern, aber ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können, ohne unhöflich oder undankbar zu klingen – daher guckte er einfach nur wie ein Fisch auf dem Trockenen. Seine Tante lächelte ermutigend und tätschelte ihm ungelenk die Schulter.
Die Schüler, das fiel Darwen jetzt auf, waren Kinder aller Hautfarben, aber wie schon im Einkaufszentrum fühlte er sich trotzdem wie ein Außenseiter.
Die Versammlung löste sich auf, und die Kinder marschierten wieder an ihm vorbei in ihre Klassenzimmer, die Augen gerade nach vorn gerichtet. Alle außer dem Mädchen von gestern, das ihm im Vorbeigehen zuwinkte. Darwen hatte die Hand schon halb erhoben, um ihren Gruß zu erwidern, als er merkte, dass der Schulleiter neben ihn getreten war.
»Miss Harvey schickt gleich jemanden, um Sie abzuholen«, erklärte er.
»Ich kann ihn zu seinem Klassenzimmer bringen«, bot Tante Honoria an. »Das ist kein Problem. In welchem Raum …«
»Nein«, unterbrach sie der Direktor. »Eltern – oder wie in Ihrem Fall Erziehungsberechtigte – dürfen bei uns die Klassenzimmer nicht betreten. Das bringt die Schüler durcheinander. Wir legen Wert auf eine klare Trennung von Schule und Zuhause. Sie sind Kinder, wenn sie morgens hier eintreffen, aber sobald sie durch die Eingangstür schreiten, sind sie Schüler. Nach Unterrichtsschluss bekommen Sie sie ja wieder in Ihre Obhut, und dann können sie sich mit ihren Spielsachen oder Computerspielen vergnügen«, sagte er verächtlich. »Aber während sie hier bei uns sind, haben sie diese kindischen Dinge nicht zu interessieren. Hier müssen sie sich ihrer Arbeit zu lernen widmen. Ja, der Arbeit . Dazu braucht man Struktur und Disziplin. Das verstehen Sie doch sicher.«
Damit legte er Darwen die
Weitere Kostenlose Bücher