Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)
Darwen hastete in die kühle Eingangshalle, und tatsächlich traf er sie dort zusammen mit dem Direktor an.
»Wo um alles in der Welt bist du gewesen!«, rief sie mit hoher, schwankender Stimme. »Ich wollte schon die Polizei rufen! Du hast ja keine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe. Und du bist ja völlig durchnässt! Dein schöner neuer Blazer …«
»Tut mir leid«, sagte Darwen. »Ich habe mich mit Freunden getroffen und darüber die Zeit vergessen.«
»Da haben Sie es«, wandte sich der Direktor in selbstzufriedenem, beruhigendem Ton an Tante Honoria. »Was habe ich Ihnen gesagt? Kein Grund zur Aufregung. Aber es ist, wie ich immer sage: Disziplin und Organisation. Das sind Dinge, die man lernen muss, wenn man an der Hillside Erfolg haben will. Und genau das habe ich auch Mr. Iverson erklärt. Die Zeit vergessen. Das passiert, wenn man sich zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigt.«
Obwohl es Darwen leidtat, dass sich seine Tante seinetwegen Sorgen gemacht hatte, ärgerte er sich auch ein wenig über die Worte des Direktors. Er hatte schon den Mund geöffnet und wollte etwas sagen, da fing er ihren Blick auf und blieb lieber still.
Die Autofahrt nach Hause verlief ruhig, obwohl Tante Honoria (wie alle anderen Fahrer) zügig auf die üblichen 130 Stundenkilometer beschleunigte, sobald sich der stockende Verkehr ein wenig auflöste. Darwen war sich bewusst, dass sie ihn beobachtete, obwohl sie konzentriert auf die Straße zu blicken schien, während er eine Karte der Innenstadt studierte, die er im Handschuhfach gefunden hatte. Er zählte, wie viele Straßen das Wort »Peachtree« in ihrem Namen trugen.
Peachtree Street Northeast, Peachtree Street Southwest, Peachtree Place …
»Wo bist du denn hingegangen?«, fragte sie schließlich. »Nach dem Archäologie-Club, meine ich.«
Peachtree Road, Peachtree Circle …
»Ins Einkaufszentrum«, sagte Darwen. »Ein paar Kids aus der Schule treffen sich da immer.«
Peachtree Avenue, Peachtree Way, Peachtree Industrial Boulevard … Wieso gab es in dieser Stadt so viele Straßennamen rund um den Pfirsichbaum?
»Also hast du Freunde gefunden!« Tante Honoria klang erfreut. »Das ist doch eine gute Nachricht. Ich hatte mir ein bisschen Sorgen gemacht, dass du vielleicht nicht, na ja …«
»Dass ich nicht hineinpassen würde?«, fragte Darwen und ließ die Straßenkarte sinken. »Doch doch. Ist alles prima.«
»Und diese Freunde«, hakte sie nach. »Sind sie nett? Sind sie fleißig? Wie heißen sie denn?«
»Rich«, sagte Darwen und fügte, da er ja von mehreren gesprochen hatte, hinzu: »Und Alexandra.«
»Das ist doch schön«, sagte Tante Honoria, »solange sie dich nicht vom Lernen abhalten. Ich habe gehört, dass es heute in der Mathestunde ein Problem gab?«
Jetzt kommt’s, dachte Darwen.
Er sagte zunächst nichts, aber sie schien darauf zu warten, dass er die Geschichte von sich aus erzählte, also sagte er einfach: »Das war keine große Sache. Sumners – Mr. Sumners – hat mich dabei erwischt, wie ich im Unterricht ein Buch gelesen habe. Das war alles.«
»In Ordnung«, sagte sie. »Aber du musst dich wirklich auf die Schularbeiten konzentrieren. Ich möchte nicht, dass du den Anschluss verpasst. Ich werde dich ab jetzt genau im Auge behalten.«
Darwen warf ihr einen kurzen Blick zu, erwiderte aber nichts.
»Du musst nicht so besorgt dreinschauen«, sagte sie. »Sobald wir zu Hause sind, mache ich dir eine schöne Tasse Tee, auf die englische Art, ohne Eis!«
Oh, eine leicht angewärmte Tasse Wasser, in der eine tote Maus treibt …
»Danke«, sagte Darwen. »Das wäre toll.«
K A P I T E L 1 4
Am nächsten Tag gab sich Darwen alle Mühe, keinen Ärger zu bekommen. Er verfolgte aufmerksam den Unterricht und verbrachte nur seine freien Momente damit, darüber nachzudenken, wem er begegnen mochte, wenn er am Abend durch den Spiegel klettern würde. Einige dieser Momente hatte er auch während der »freiwilligen« Übungsstunde, die Mrs. Frumpelstein ihm aufgedrückt hatte, um seine Aussprache zu verbessern.
Er war spät dran, und als er in ihr Büro gelaufen kam, sah Mrs. Frumpelstein auf ihre Uhr und blickte ihn verärgert an.
»’tschuldigung, Miss«, sprudelte er hervor. »War total beschäftigt und hab’s komplett vergessn.«
»Schon allein in diesem Satz gibt es genug Ansatzpunkte, mit denen wir uns bis Weihnachten beschäftigen können«, sagte Mrs. Frumpelstein seufzend.
»Tut mir leid«, wiederholte Darwen
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