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Mr Pink Floyd

Mr Pink Floyd

Titel: Mr Pink Floyd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Mari
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KLAGE
    Sylas White

    Mein Bruder war Bernard White, die weltweit höchste Autorität in Sachen Barrettismus, wie er sich selbst zu nennen pflegte. Passt gut auf, seine Geschichte ist ein wahrhaftes Lehrstück.
    Im Jahr 1972 gründete er mit ein paar Freunden die Syd Barrett International Appreciation Society, die Terrapin herausbrachte, ein »Fanzine« für Barrett: Bernard erklärte mir, dass Terrapin der Titel eines Songs war, den Barrett für seine Schwester geschrieben hatte, die in der Terrapin Road wohnte, und dass »Fanzine« ein Magazin von Fans für Fans sei. Wie bekloppt! Da brauchen nur zwei Anhänger der Erdbeertraube wann immer sie wollen ein Blättchen über die Erdbeertraube zu veröffentlichen, und schon hat man ein Fanzine! Aber ich schweife ab. Terrapin löste große Diskussionen aus, denn es gab unter anderem eine Rubrik mit dem Titel Syd sightings : Sichtungen von Syd, als handelte es sich um einen seltenen Vogel auf der Durchreise. Da die Rubrik den Lesern offenstand, kam alles Mögliche darin vor: Aussagen von Leuten, die behaupteten, Syd schlafend unter einer Brücke gesehen zu haben oder wie er eine Dose Bohnen im Kaufhaus geklaut habe, Briefe von Mythomanen, die angeblich mit ihm auf dem Cam Boot gefahren sind, heikle Geständnisse von jungen Mädchen… Aber natürlich waren die glaubwürdigsten Meldungen die gefährlichsten, denn sie brachten Barretts Adresse in Umlauf, informierten über sein Kommen und Gehen, wann man ihn am besten im Garten überraschen konnte oder um wie viel Uhr er morgens den Mülleimer
rausbrachte. 1976 bewegten der Protest der Familie und die öffentliche Missbilligung Bernards Kollegen dazu, die Gesellschaft aufzulösen. Seitdem und bis zu seinem Tod im Jahr 2004 hat mein Bruder Terrapin allein weiter publiziert, wenn auch in sehr unregelmäßigen Abständen. Trotz einiger Verwarnungen wurden die »Sichtungen« also fortgeführt. Soviel ich weiß, hat David Gilmour ihm für das Einstellen der Rubrik eine beachtliche Summe geboten, aber der Dickschädel lehnte ab. Mit dem Geld hätte er sich echt bequem zurücklehnen können, wenn man sich anschaut, wie viel er für diese barrettianischen Preziosen ausgab … Er war mit Kontaktpersonen aus der ganzen Welt vernetzt: Mit deren Hilfe erwarb er wahllos alles, was mit Barrett zu tun hatte, Fotos, Zeitungsausschnitte, Konzertkarten, ausländische Plattenausgaben, Autogramme, in Hotels liegen gelassene Gegenstände, sogar ein Plektrum, das wie auch immer in Australien gelandet war!
    Mein Bruder war ein Fanatiker geworden, ganz genau… Aber das ist nicht das Schlimme, das Schlimme war der Einfluss … Bernard war so von Barrett eingenommen, dass er nicht nur zum Hohepriester seines Kults geworden war, sondern sich nach und nach in sein Plagiat verwandelt hatte. Anfangs lebte er wie er und versuchte, ihm immer ähnlicher zu werden: Er schnitt sich die Haare ab, nahm absichtlich zu, ging so selten wie möglich aus dem Haus, tat so, als würde er die Leute nicht kennen … Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie tief er in den letzten Jahren gesunken war, immer die Fenster zu, überall haufenweise Lumpen, Krümel, Staub, Spinnennetze und ein Gestank … Und überall diese verdammten Erinnerungsstücke, die alles zustellten und zwischen denen er sich wie ein Schlangenmensch hindurchwinden musste… Als er mir sagte, er heiße nicht Bernard, sondern Syd, verpasste ich ihm eine Ohrfeige, aber sein überraschter Gesichtsausdruck ließ durchblicken, dass das alles kein Scherz war, und erst recht, als ich eines Tages beobachtete, wie er sich eine Gitarre nahm und Arnold
Layne spielte, er, der noch nicht einmal weiß, wie man eine Gitarre richtig umgreift …
    Mit 55 starb mein Bruder, überzeugt davon, Barrett zu sein. Ein paar Monate nach der Beerdigung ging ich mit einem Experten in seine Wohnung, um das viele Material schätzen zu lassen, aber es war nichts mehr auffindbar: alles verschwunden, bis zum letzten Schnipsel. Man hätte durchaus an einen Auftragsraub denken können, schließlich war Bernard tatsächlich eine Berühmtheit, auf dessen einzigartige Sammlung so einige Sammler scharf waren, aber wie kam es dann, dass die gepanzerte Tür und die Fenster, ja, sogar auch die gepanzerten, nicht die geringste Spur eines Einbruchs aufwiesen? Bernard hatte sich also auf seine Art ein Pöstchen in der Legende erworben. Ich habe jedoch meinen Bruder verloren, den einzigen.

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