Mr. Postman
wie eine Frau, die eine weite Reise durch eine Region des Schreckens hinter sich hatte. Und sie bewegte sich erst, als Glenda gegen sie stolperte und sich an ihr festhielt.
Der Schrei war nicht ungehört geblieben. Einige wenige Menschen, die keinen Schlaf hatten finden können, zeigten sich an den offenen Fenstern und schauten nach unten. So richtig bekamen sie nicht mit, was die beiden Frauen für einen Schrecken durchlebten.
Mr. Postman gab nicht auf. Er kam wieder hoch. Aber es war ihm anzusehen, welch gewaltige Kraft ihn da erwischt hatte. Der schwere Stein war mit voller Wucht auf den Knochenkörper gefallen, und ihn hatte auch kein Uniformstoff schützen können. Sein Körper war in Mitleidenschaft gezogen worden. Irgend etwas unter der Kleidung musste gebrochen sein. Vielleicht an der linken Hüft- oder Brustseite, denn Mr. Postman ging schräg und leicht eingeknickt. Er konnte sich nicht mehr normal bewegen. Er hinkte, aber er dachte nicht daran, aufzugeben. So leicht war er nicht zu stoppen.
Er wollte seine Beute. Er wollte das Blut der Frauen fließen sehen, und er tat es einzig und allein für seinen großen Mentor im Hintergrund, den Teufel. Deshalb hielt ihn nichts auf.
Er wuchtete sich weiter. Zackig bei jedem Schritt. Er schien vorher immer Kraft zu holen, ehe er sich weiterbewegte. Er war ein Untier, und er kam ihnen auch nach, als sie längst den Gehsteig erreicht hatten und den Weg wieder zurückliefen.
Wo sollten sie hin? Für die beiden Frauen gab es nur ein Ziel. Es war das Haus, in dem Lilian wohnte. Nichts anderes mehr. Dort konnten sie sich zwar keine Ewigkeit verstecken, aber durchaus halten, sich auch verteidigen. Nur mussten sie die Tür vor ihrem Verfolger erreichen.
Glenda hatte ihre Schwierigkeiten mit dem schnellen Laufen. Die Klaue war einfach zu stark um ihren Knöchel gepresst worden. Jeder Schritt mit dem rechten Bein wurde zur Qual. Die Schmerzen zogen bis in die Wade hinein. Das merkte auch Lilian. Sie lief an Glendas linker Seite, wollte sie antreiben, sah dann das verzerrte Gesicht, hörte auch das Keuchen und wusste, dass ihre neue Bekannte nicht mehr so konnte, wie sie wollte.
Sie half ihr. Stützte sie ab. »Komm, nicht aufgeben, Glenda. Jetzt bin ich an der Reihe. Vorhin hast du mir Mut gemacht.«
»Okay, okay, ich halte schon durch!«
Sie drehten sich nicht um. Es hätte sie aufgehalten, aber sie wussten, dass ihnen Mr. Postman auf den Fersen war, denn sie hörten seine Schritte. Zwar setzte er nicht mit den Knochenfüßen auf, er trug schließlich Schuhe, aber er ging auch nicht lautlos, und das Tapp Tapp hörte sich mehr als gefährlich an.
Beide Frauen erreichten den Vorgarten, ohne dass etwas geschehen wäre. »Jetzt nur noch bis zur Haustür, Glenda!« drängte Lilian, »nur noch bis zur Tür…« Glenda nickte nur. Ging aber weiter. Versuchte, nicht mit dem rechten Bein voll aufzutreten, weil der Schmerz sonst einfach zu groß wurde.
Lilian hatte die Tür nicht geschlossen. Das erwies sich jetzt als Vorteil.
Sie schob Glenda hinein und ließ sie erst los, als sie im Flur standen.
Dann drehte sich Lilian auf der Stelle und knallte die Haustür zu. Als sie ins Schloss fiel, klang es beinahe so laut wie ein Pistolenschuss.
Glenda lehnte an der Wand. Sie atmete heftig. Das Flurlicht erhellte ihr schweißfeuchtes und verzerrtes Gesicht. Sie atmete durch den offenen Mund und hielt das rechte Bein angewinkelt, um nicht mit dem Fuß auftreten zu müssen.
Lilian schaute sich hektisch um. Wie eine Fremde im eigenen Haus. Es gab nur die Möglichkeit, in einem der Zimmer zu verschwinden, und sie entschied sich für das Wohnzimmer. Dort standen auch Gegenstände, die sich möglicherweise zur Verteidigung eigneten.
»Kannst du noch?«
Glenda hob den Kopf an und lachte scharf. »Kommt darauf an, wohin du mich schaffen willst.«
»Scherzkeks. Ins Wohnzimmer natürlich.«
»Okay, dann komm.«
Diesmal brauchte Lilian Glenda nicht zu stützen. Den kurzen Weg schaffte sie allein, auch wenn sie humpelte wie Mr. Postman. Sie quälte sich durch, und Lilian hielt ihr die Tür auf.
Es sah noch alles so aus, wie sie es verlassen hatten. Keine Veränderung, kein Skelett, und Glenda war froh, sich in den nächstbesten Sessel fallen zu lassen.
Lilian blieb neben ihr stehen. »Und was machen wir jetzt?« keuchte sie voller Hektik.
»Abwarten!«
»Auf wen?«
»Ich werde versuchen, John Sinclair zu erreichen. Verdammt, er muss kommen. Er geht nicht ohne Handy, und…«
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