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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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inzwischen ist das alles ziemlich verschwommen. Am Ende war es das Beste, was mir passieren konnte. Dein kleines Missgeschick hat mir das Leben gerettet, Walt. Was immer ich damals hatte, heute habe ich zehnmal so viel.»
    «Wozu mit so viel Kies in Wichita bleiben, stimmt’s? Und wann sind Sie nach Chicago umgezogen?»
    «Ich bin nur geschäftlich hier. Morgen früh fahre ich nach New York zurück.»
    «Fifth Avenue, schätz ich mal.»
    «Getroffen, Mr. Rawley.»
    «Das hab ich doch gleich gewusst. Sie sehen auch richtig nach Kohle aus. Geld hat einen besonderen Geruch, und es gefällt mir, hier zu sitzen und ihn einzuatmen.»
    «Das meiste kommt vom Öl. Im Boden stinkt das Zeug, aber wenn man es zu Geld macht, verströmt es einen reizenden Duft, hab ich recht?»
    Mrs. Witherspoon war ganz die Alte. Noch immer trank sie gern, noch immer redete sie gern von Geld, und wenn man eine Flasche entkorkte und sie auf ihr Lieblingsthema hinlenkte, konnte sie mit jedem stumpenkauenden Kapitalisten diesseits von Daddy Warbucks mithalten. Bis zum Ende des Hauptgangs erzählte sie mir von ihren Geschäften und Investitionen, und als die Teller abgeräumt waren und der Kellner mit der Dessertkarte kam, machte es klick, und ich sah die Glühbirne in ihrem Kopf aufleuchten. Nach meiner Uhr war es Viertel vor zwei. Mochte kommen, was da wollte, in einer halben Stunde würde ich mich verdrücken.
    «Wenn du einsteigen willst, Walt», sagte sie, «kann ich dir gern ein Plätzchen besorgen.»
    «Plätzchen? Was für ein Plätzchen?»
    «Texas. Ich habe da unten ein paar neue Probebohrungen laufen und brauche jemanden, der ein bisschen Aufsicht führt.»
    «Ich hab aber von Öl keinen blassen Schimmer.»
    «Du bist doch klug. Das kapierst du schnell. Sieh dir an, was du bis jetzt schon für Fortschritte gemacht hast. Schöne Anzüge, schicke Restaurants, Geld in der Tasche. Du hast es weit gebracht, mein Freund. Und glaub nicht, mir wäre entgangen, wie sehr deine Ausdrucksweise sich verbessert hat. Kein Vergleich zu früher.»
    «Ja, daran hab ich hart gearbeitet. Ich wollte nicht mehr wie ein Einfaltspinsel daherreden, drum hab ich ein paar Bücher gelesen und meinen Wortschatz aufgefrischt. Ich fand, es war an der Zeit, aus der Gosse herauszukommen.»
    «Genau das meine ich. Du kannst tun, was du willst. Solange du deinen Verstand gebrauchst, ist gar nicht abzusehen, wie weit du es noch bringen wirst. Pass auf, Walt. Steig bei mir ein, und in zwei, drei Jahren sind wir Partner.»
    Es war schon verdammt reizvoll, aber als ich ihr Lob verdaut hatte, drückte ich meine Camel aus und schüttelte den Kopf. «Meine jetzige Tätigkeit gefällt mir. Wozu nach Texas gehen, wenn ich in Chicago alles habe, was ich brauche?»
    «Weil du in der falschen Branche bist, deshalb. Diese Räuber-und-Gendarm-Spielerei hat keine Zukunft. Wenn du damit weitermachst, wirst du noch vor deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag entweder tot sein oder im Kittchen sitzen.»
    «Was heißt hier Räuber-und-Gendarm-Spielerei? Ich habe eine völlig weiße Weste.»
    «Sicher. Und der Papst ist ein verkleideter hinduistischer Schlangenbeschwörer.»
    Danach wurde der Nachtisch angekarrt, und wir knabberten schweigend unsere Eclairs. Es war eine unschöne Art, die Mahlzeit zu beenden, aber wir waren eben beide zu stur, einen Rückzieher zu machen. Schließlich plauderten wir über das Wetter, machten ein paar belanglose Bemerkungen zur bevorstehenden Wahl, aber der Funke war aus und nicht mehr anzufachen. Mrs. Witherspoon war nicht bloß sauer auf mich, weil ich ihr Angebot ausgeschlagen hatte. Der Zufall hatte uns wieder zusammengeführt, und nur ein Idiot konnte einen solchen Wink des Schicksals so unbekümmert ignorieren wie ich. Sie ärgerte sich mit Recht über mich, aber ich musste meinen eigenen Weg gehen und war viel zu sehr von mir eingenommen, um zu begreifen, dass mein Weg und ihr Weg derselbe waren. Wenn ich nicht so scharf darauf gewesen wäre, Dixie Sinclair meinen Schwanz reinzuschieben, hätte ich ihr vielleicht genauer zugehört, aber ich hatte es eilig und einfach keine Lust auf irgendwelche Gewissensprüfungen. So ist das nun mal. Wenn der Unterleib die Oberhand gewinnt, kann man nicht mehr denken.
    Den Kaffee ließen wir aus, und als der Kellner um zehn nach zwei die Rechnung brachte, schnappte ich sie ihm weg, bevor Mrs. Witherspoon danach greifen konnte.
    «Ich zahle», sagte ich.
    «Okay, Krösus. Spiel dich nur auf, wenn’s dich glücklich

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