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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Lokal an der Hauptstraße, um vor der Abreise noch ein paar flüssige Erfrischungen zu uns zu nehmen. Es war die tote Zeit zwischen Frühstück und Mittagessen, und Meister Yehudi und ich waren die einzigen Gäste. Ich weiß noch, dass ich grade den letzten Schaum meiner heißen Schokolade ausgeschlürft hatte, als die Türglocke klingelte und ein dritter Gast hereinkam. Aus purer Neugier hob ich den Kopf, um mir den Neuen mal kurz anzusehen, und wen erblickte ich da? Meinen Onkel Slim, den alten Tatterich! Obwohl es nicht wärmer als zwei Grad gewesen sein kann, trug er bloß einen fadenscheinigen Sommeranzug. Er hatte den Kragen hochgeschlagen und hielt mit der Rechten krampfhaft das Jackett zusammen. Zitternd wankte er über die Schwelle, wie ein Zwergpinscher, den der Nordwind hereingeweht hatte, und wenn ich nicht so verblüfft gewesen wäre, hätte ich bei seinem Anblick wohl lachen müssen.
    Meister Yehudi saß mit dem Rücken zum Eingang. Als er meinen Gesichtsausdruck sah (ich muss käsebleich geworden sein), drehte er sich um und sah nach, was mich so aus der Fassung gebracht hatte. Slim stand noch immer in der Tür, rieb sich frierend die Hände und inspizierte mit verkniffenen Augen den Laden, dann endlich hatte er uns erspäht und entblößte seine schiefen Zähne zu dem Grinsen, das ich als Kind immer gefürchtet hatte. Diese Begegnung war kein Zufall. Er war nach Gibson City gekommen, um zu reden, und so sicher, wie sechs und sieben dreizehn ist, die größte Unglückszahl von allen, konnten wir uns auf einen Haufen Schwierigkeiten gefasst machen.
    «Na so was», sagte er und kam scheißfreundlich zu uns an den Tisch geschlendert. «Sieh mal an. Da komme ich in privaten Geschäften in die finsterste Provinz, will nur mal eben eine Tasse Kaffee trinken, und wer läuft mir in der erstbesten Imbissbude über den Weg? Mein verlorengeglaubter Neffe! Der kleine Walt, mein Augapfel, der sommersprossige Wunderknabe. Wenn das kein Wink des Schicksals ist. Als ob man eine Nadel im Heuhaufen finden würde.» Ohne dass der Meister oder ich etwas gesagt hätten, pflanzte er sich auf den freien Stuhl neben mir. «Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mich setze?», sagte er. «Die Freude haut mich glatt um, da brauch ich einen Stuhl, falls ich aus den Pantinen kippe.» Dann patschte er mir auf den Rücken und zauste mir die Haare, als ob er wirklich glücklich sei, mich wiederzusehen – was er vielleicht ja auch war, aber jedenfalls aus anderen Gründen als normale Leute. Es überlief mich eiskalt, als er mich so betatschte. Ich zuckte vor seiner Hand zurück, aber er achtete gar nicht drauf, sondern palaverte auf seine schmierige Art weiter und ließ bei jeder Gelegenheit seine schiefen braunen Zähne sehen. «Tja, mein Lieber», fuhr er fort, «sieht so aus, als ob du reichlich Glück hast in letzter Zeit. Wie ich in der Zeitung gelesen habe, bist du ’ne ganz große Nummer, das tollste seit der Erfindung des Roggenbrots. Dein Lehrer hier muss ja platzen vor Stolz – ganz zu schweigen von seiner Brieftasche. Ich kann dir gar nicht sagen, Walt, wie gut es mir tut, einen Verwandten zu haben, der sich in der großen Welt einen Namen macht.»
    «Kommen Sie zur Sache, Freund», sagte der Meister, dem es endlich gelang, sich in Slims Monolog einzuschalten. «Der Junge und ich wollten gerade aufbrechen, wir haben keine Zeit, hier herumzusitzen und uns Ihren Unsinn anzuhören.»
    «Verdammt», sagte Slim und gab sich alle Mühe, den Gekränkten zu spielen, «darf man sich nicht mal nach dem Sohn der eigenen Schwester erkundigen? Wozu die Eile? Mit der Kiste, die Sie da draußen am Bordstein geparkt haben, kommen Sie doch überall rechtzeitig hin.»
    «Walt hat Ihnen nichts zu sagen», erklärte der Meister, «und wenn es nach mir geht, haben Sie ihm auch nichts zu sagen.»
    «Da wär ich mir nicht so sicher», sagte Slim; er zog einen zerknautschten Stumpen aus der Tasche und zündete ihn an. «Er hat ein Recht darauf, von seiner armen Tante Peg zu hören, und ich hab das Recht, es ihm zu erzählen.»
    «Was ist mit ihr?», fragte ich, wobei ich kaum über ein Flüstern hinauskam.
    «He, der Junge kann sprechen!», sagte Slim und kniff mir mit gespielter Begeisterung in die Wange. «Ich dachte schon, er hätte dir die Zunge rausgeschnitten, Walt.»
    «Was ist mit ihr?», wiederholte ich.
    «Sie ist tot, Kleiner. Das ist mit ihr. Der Tornado, der letztes Jahr Saint Louis zerstört hat, hat sie geholt. Das Haus ist

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