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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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über ihr zusammengefallen, und da war’s aus mit der guten alten Peg. Einfach so, aus und vorbei.»
    «Und du bist davongekommen», sagte ich.
    «Gott hat es so gewollt», sagte Slim. «Ich war zufällig am andern Ende der Stadt und habe ehrlich gearbeitet.»
    «Schade, dass es nicht umgekehrt war», sagte ich. «Tante Peg war zwar auch nicht gerade umwerfend, aber wenigstens hat sie mich nicht so oft verprügelt wie du.»
    «Na, na», sagte Slim, «so redet man aber nicht von seinem Onkel. Ich bin dein eigen Fleisch und Blut, Walt, also quatsch nicht so kariertes Zeug über mich. Und schon gar nicht, wenn ich so was Wichtiges zu erledigen habe wie jetzt. Mr. Yehudi und ich haben was zu besprechen, also lass die Scherze und vermassel mir nicht alles.»
    «Ich glaube, Sie irren sich», sagte der Meister. «Wir beide haben nichts zu besprechen. Walt und ich sind schon spät dran, Sie werden uns leider entschuldigen müssen.»
    «Nicht so eilig, Mister», sagte Slim. Plötzlich ließ er die freundliche Maske fallen, und seine Stimme klang wieder so zornig und gereizt, wie ich sie in Erinnerung hatte. «Wir beide haben ’ne Abmachung, und ich lasse es mir nicht bieten, dass Sie sich da einfach rausschwindeln.»
    «Abmachung?», sagte der Meister. «Wovon reden Sie?»
    «Was wir vor vielen Jahren in Saint Louis besprochen haben. Meinen Sie, ich hätte das vergessen? Für wie dumm halten Sie mich? Sie haben mir eine Beteiligung versprochen, einen fairen Anteil am Gewinn. Fünfundzwanzig Prozent. Die haben Sie mir versprochen, und die will ich jetzt.»
    «Wenn ich mich recht erinnere, Mr. Sparks», sagte der Meister und versuchte ruhig Blut zu bewahren, «haben Sie mir fast die Füße geküsst, als ich Ihnen sagte, dass ich den Jungen mitnehmen möchte. Sie waren außer Rand und Band vor Freude, ihn loszuwerden. Das war unsere Abmachung, Mr. Sparks: Ich habe um den Jungen gebeten, und Sie haben ihn mir gelassen.»
    «Unter gewissen Bedingungen. Die habe ich Ihnen genannt, und Sie haben sie akzeptiert. Fünfundzwanzig Prozent. Behaupten Sie bloß nicht, das hätten wir nicht ausgemacht. Sie haben mir Ihr Wort gegeben.»
    «Sie spinnen ja. Wenn wir eine Abmachung haben, zeigen Sie mir den Vertrag. Zeigen Sie mir das Stück Papier, aus dem hervorgeht, dass ich Ihnen irgendetwas schuldig bin.»
    «Wir haben uns die Hand drauf gegeben. Das war eine reelle mündliche Abmachung.»
    «Sie haben eine reizende Phantasie, Mr. Sparks, aber Sie sind ein Lügner und Betrüger. Wenn Sie eine Beschwerde gegen mich haben, nehmen Sie sich einen Anwalt, dann werden wir ja sehen, ob Sie vor Gericht damit durchkommen. Aber bis dahin seien Sie so freundlich, Ihr hässliches Gesicht aus meiner Nähe zu entfernen.» Darauf wandte der Meister sich an mich und sagte: «Komm, Walt, wir gehen. Wir werden in Urbana erwartet und haben keine Minute mehr zu verlieren.»
    Der Meister warf einen Dollar auf den Tisch und erhob sich, und ich erhob mich mit ihm. Aber Slim war noch nicht ganz fertig, und es gelang ihm, das letzte Wort zu behalten. «Sie halten sich für sehr clever, Mister», rief er uns nach, als wir das Lokal verließen, «aber so leicht werden Sie mich nicht los. Niemand nennt Edward J. Sparks ungestraft einen Lügner. Ja, gehen Sie nur – da ist die Tür. Aber das ist das letzte Mal, dass Sie mich abblitzen lassen. Ich warne Sie, Mann. Ich kriege Sie und diese kleine Ratte. Sie werden es noch bereuen, wie Sie mit mir geredet haben. Es wird Ihnen leidtun bis ans Ende aller Tage.» Er verfolgte uns bis zum Ausgang und rief uns noch seine verrückten Drohungen nach, als wir in den Pierce Arrow stiegen und der Meister den Wagen anließ. Die Worte meines Onkels gingen im Motorgeräusch unter, aber seine Lippen bewegten sich noch immer, und ich sah die Adern an seinem dürren Hals hervortreten. Wir fuhren ab und ließen ihn stehen: außer sich vor Wut, die Fäuste schüttelnd, unhörbar Rache schwörend. Mein Onkel war vierzig Jahre lang durch die Wüste gewandert, und das Ganze hatte ihm nichts als Stürze und Umwege und einen Reinfall nach dem andern eingebracht. Als ich sein Gesicht im Rückfenster sah, wusste ich, dass er jetzt endlich ein Ziel hatte, dass der Arsch jetzt endlich den Sinn des Lebens entdeckt hatte.
    Als wir aus dem Ort waren, sah mich der Meister an und sagte: «Dieses Großmaul hat überhaupt nichts in der Hand. Er blufft nur, alles Quatsch und Blödsinn von Anfang bis Ende. Der Mann ist der geborene Verlierer, und

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