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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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brechen konnte. An deiner Stelle würde ich ihr in den nächsten fünfzig Jahren stündlich dafür danken, Junge, dass sie dieses Versprechen gegeben hat.»
    «Ihr danken? Die Zicke kann mich mal, Meister. Die kann mich mal kreuzweise, dieses verlogene Miststück, wenn sie Ihnen Unrecht zufügt.»
    «Wenn du erfährst, warum sie es getan hat, wirst du anders reden. Sie hat es nur für dich getan, kleiner Mann. Sie hat das auf sich genommen für einen Pimpf mit Namen Walter Claireborne Rawley, und es ist so ziemlich die mutigste, die selbstloseste Tat, die ich je erlebt habe.»
    «So ein Quatsch. Ich hab nichts damit zu tun. Ich war ja gar nicht da.»
    «Fünfzigtausend Dollar, Sportsfreund. Glaubst du, so ein Betrag fällt einfach vom Himmel? Als die Lösegeldforderungen eintrafen, mussten wir handeln, und zwar schnell.»
    «Sicher, das ist ein Haufen Kohle, aber wir müssen doch inzwischen locker das Doppelte eingenommen haben.»
    «Nicht mal annähernd. Marion und ich konnten zusammen nicht einmal die Hälfte davon aufbringen. Wir haben nicht schlecht verdient, Walt, aber längst nicht so viel, wie du denkst. Wir haben enorme Kosten. Hotelrechnungen, Transport, Reklame – da kommt einiges zusammen, wir haben uns praktisch gerade mal so über Wasser gehalten.»
    «Ach», sagte ich und überschlug rasch im Kopf, wie viel Geld wir ausgegeben haben mussten – mir wurde ganz schwindlig dabei.
    «Ach, schon gut. Also was tun – das ist die Frage. Wohin uns wenden, ehe es zu spät ist? Der alte Judge Witherspoon lässt uns abblitzen. Seit Charlie sich umgebracht hat, hat er mit Marion kein Wort mehr gesprochen, und er denkt gar nicht daran, sein Schweigen jetzt zu brechen. Die Banken lachen uns aus, die Kredithaie wollen nichts mit uns zu tun haben, und selbst wenn wir das Haus verkaufen, reicht es immer noch nicht. Also was tun – das ist die Frage, die uns unter den Nägeln brennt. Die Uhr tickt, und mit jedem Tag, den wir verlieren, wird der Preis höher geschraubt.»
    «Fünfzigtausend Dollar, um meinen Arsch zu retten.»
    «Und das war noch ausgesprochen billig, wenn man bedenkt, wie viel Geld du in den nächsten Jahren scheffeln wirst. Ausgesprochen billig, aber wir hatten das Geld einfach nicht.»
    «Und dann?»
    «Wie dir inzwischen klar sein dürfte, ist Mrs. Witherspoon eine bezaubernde Frau mit vielfältigen Reizen. Mag sein, dass ich einen besonderen Platz in ihrem Herzen erobert habe, aber ich war nicht der Einzige, der ihr den Hof machte. Sie hat unzählige Verehrer in Wichita, hinter sämtlichen Zaunpfählen und Hydranten lauern welche. Einer davon, ein junger Getreidebaron mit Namen Orville Cox, hat ihr im vergangenen Jahr fünf Heiratsanträge gemacht. Während wir beide durch die Provinz getingelt sind, hat der junge Orville sich mächtig ins Zeug gelegt. Natürlich hat Marion ihn abgewiesen, aber nicht ohne eine gewisse Wehmut und Bedauern, und ich nehme an, diese Gefühle sind mit jedem Nein ein wenig stärker geworden. Muss ich noch mehr sagen? Sie wandte sich an Cox und bat ihn um die Fünfzigtausend – ein Betrag, den er nur zu bereitwillig lockermachte, freilich unter der Bedingung, dass sie mir den Laufpass gab und sich von ihm zum Altar führen ließ.»
    «Das ist Erpressung.»
    «Mehr oder weniger. Aber dieser Orville ist im Grunde gar kein so schlechter Mensch. Ein bisschen dumm vielleicht, aber Marion weiß ganz genau, worauf sie sich da einlässt.»
    «Also», stotterte ich ratlos, «da muss ich sie wohl um Verzeihung bitten. Sie hat mir geholfen wie ein echter Kumpel.»
    «Ganz genau. Wie eine richtige Heldin.»
    «Aber», hakte ich nach; noch wollte ich mich nicht geschlagen geben. «Aber das hat sich doch jetzt alles erledigt. Ich meine, die Sache ist gelaufen. Ich habe es allein geschafft, von Slim abzuhauen, und keiner hat die fünfzigtausend blechen müssen. Orville sitzt immer noch auf seinem Scheißgeld, und damit ist die gute Mrs. Witherspoon von Rechts wegen wieder frei.»
    «Schon möglich. Aber sie will ihn trotzdem heiraten. Ich habe gestern noch mit ihr gesprochen, und das war der Stand der Dinge. Sie hat es tatsächlich immer noch vor.»
    «Wir sollten dazwischenfahren, Meister, ja, das sollten wir. Die Hochzeit stürmen und sie da rausholen.»
    «Wie im Film, Walt, was?» Zum ersten Mal, seit wir diese furchtbare Unterhaltung angefangen hatten, stieß Meister Yehudi ein Lachen aus.
    «Sie haben’s erfasst. Genau wie in einem billigen Krimi.»
    «Lass sie, Walt.

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