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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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hochgezogener Augenbraue.
    »Ach du meine Güte – Sie sind die Ladenbesitzerin!« Er sackte noch ein Stück weiter in die Schieflage. »Erinnern Sie mich dran, dass ich ab sofort mehr kaufe.«
    »Wir müssen weiter, wir brauchen etwas zu trinken«, erklärte der Major und sorgte dafür, dass er zwischen Mrs. Ali und den für seine hinterntätschelnden Hände berüchtigten Hugh zu stehen kam, bevor er sie wegführte. Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er Mrs. Ali an diesem Abend lauter Leuten würde vorstellen müssen, die schon seit Jahren ihre Milch und ihre Zeitung bei ihr kauften. Whetstone grölte ihnen noch nach: »’ne Eingeborenenprinzessin zu mieten ist aber ganz schön abgefahren!«
    Noch ehe der Major etwas erwidern konnte, unterbrach die Kapelle ihr Spiel. Die sofort erfolgenden Verschiebungen innerhalb der Menge bewirkten, dass plötzlich Daisy Green über sie herfiel wie ein Beagle über ein Fuchsjunges. Sie war mit einem weißen Abendkleid, dessen blaue Schärpe zahlreiche sonderbare Medaillen und Nadeln zierten, als eine Art Botschaftergattin verkleidet. An einer Seite ihres Kopfes prangte eine große Federbrosche, aus der heraus eine einzelne Pfauenfeder nach hinten ragte und den Leuten im Vorübergehen ins Gesicht stach.
    »Sie sind ja gar nicht verkleidet, Mrs. Ali!«, sagte sie, als wollte sie auf einen hervorschauenden Unterrock oder auf ein Fitzelchen Spinat zwischen den Zähnen aufmerksam machen.
    »Grace und ich haben Kostüme getauscht«, antwortete Mrs. Ali lächelnd. »Sie hat meinen alten Shalwar Kamiz und ich das Kleid ihrer Tante.«
    »Das ist aber schade«, meinte Daisy. »Wir hatten uns schon so darauf gefreut, Sie in Ihrer wunderschönen heimatlichen Tracht zu sehen, stimmt’s, Christopher?«
    »Wen?«, fragte der Pfarrer und trat aus einem benachbarten Menschenknäuel. Er wirkte leicht zerzaust mit seinen Reitstiefeln, der zerknitterten Militärjacke, dem Safarihut und dem Halstuch, das aus einem Stück Stoff mit buntem Madraskaro bestand. Der Major fand, dass er aussah wie der betrunkene heimliche Geliebte der Botschaftergattin, und schmunzelte, als ihm die Vorstellung kam, Daisy und Christopher würden dieses Spiel nach dem Ball zu Hause weiterspielen.
    »Ah, Pettigrew!« Der Major schüttelte die dargebotene Hand. Zu einem Gespräch kam es erst gar nicht, denn der Pfarrer war bekanntermaßen unfähig, in einer lauten Menschenmenge irgendetwas zu verstehen – sehr zum Vergnügen ganzer Generationen von Chorknaben, die sich einen Spaß daraus gemacht hatten, bei den Proben alle gleichzeitig zu reden, um herauszufinden, wer den Ohren des Pfarrers die anstößigsten Ausdrücke unterjubeln konnte.
    »Sie mit Ihrem wunderbaren Teint können natürlich die wildesten Farben tragen.« Daisy war immer noch am Plappern. »Die arme Grace dagegen – na ja, Fliederblau ist nun mal heikel.«
    »Ich finde, Grace sieht wunderschön aus«, sagte der Major. »Mrs. Ali selbstverständlich auch – Mrs. Ali, Pater Christopher kennen Sie doch, oder?«
    »Aber natürlich«, sagte der Pfarrer, schielte dabei jedoch ein wenig, was bewies, dass er keine Ahnung hatte, um wen es sich handelte.
    »Graces Tante war ja geradezu legendär für ihren exquisiten Geschmack«, sagte Daisy und musterte Mrs. Alis Kleid von oben bis unten, als dächte sie über einige Verbesserungsvorschläge nach. »Grace hat immer gesagt, dass sie nie den Mut hatte, ein Kleid von ihr anzuziehen. Sie reagiert ja schon auf den kleinsten Hauch von Unschicklichkeit unglaublich sensibel. Aber Sie, meine Liebe, können es wirklich tragen! Bitte amüsieren Sie sich nach Kräften, ja?« Sie rauschte davon. »Komm mit, Christopher!«
    »Wer sind all diese Leute?«, fragte der Pfarrer.
     
    »Nur gut, dass ich keinen Alkohol trinke«, sagte Mrs. Ali, während sie sich weiter um das Menschenknäuel herumzwängten.
    »Ja, diese Erkenntnis kommt vielen, wenn sie Daisy erlebt haben. Es tut mir sehr leid.«
    »Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen.«
    »Entschuldigung«, platzte der Major heraus. »Sehen Sie, ich glaube, die Bar ist gleich dort hinter der Palme.«
    Im Gewühl an der Bar tat sich zwar eine winzige Lücke auf, doch der Raum zwischen dem Major und einem heiß begehrten Gin Tonic war von der ziemlich unglücklich dreinschauenden Sadie Khan und ihrem Mann, dem Arzt, besetzt. Dr. Khan stand so stocksteif da, dass dem Major der Begriff »Leichenstarre« in den Sinn kam. Er war ein attraktiver Mensch mit dichtem, kurzem

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