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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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rechts auf die bemoosten Steinplatten ab und führte den Major in den Garten, der sanft zu einer Seite des Hauses anstieg.
    Ganz hinten in einer kleinen Laube entdeckte der Major Mrs. Ali und Grace, die, wie er zu seinem Entsetzen sah, mit geschlossenen Augen zusammengesackt auf einer mit Flechten bewachsenen Teakholzbank hockte. Mrs. Ali maß offenbar gerade ihren Puls.
    »Die Leute sind derart rüpelhaft – immer wieder kommen sie ohne Besichtigungstermin«, sagte Mrs. Augerspier und überquerte im Laufschritt den Rasen. »Und nie sind es die richtigen.«
    »Ach, die sind nicht wegen der Besichtigung da«, erklärte der Major, aber die Witwe hörte nicht hin.
    »Das Haus ist nicht verfügbar«, rief sie und fuchtelte mit den Händen, als würde sie aufsässige Hühner wegscheuchen. »Ich muss Sie bitten, sofort zu gehen.« Grace schlug die Augen auf und drückte sich ängstlich gegen die Bank. Mrs. Ali tätschelte ihr die Hand, erhob sich und trat nach vorn, wie um sie vor der wütend über das Gras hastenden Gestalt zu beschützen.
    »Es ist alles in Ordnung, Mrs. Augerspier«, sagte der Major, als er sie endlich eingeholt hatte. »Die Damen gehören zu mir.« Grace sah ihn dankbar an, doch Mrs. Ali hielt den Blick auf die Witwe gerichtet.
    »Meine Freundin Grace musste sich hinsetzen«, berichtete sie. »Wir wussten nicht, dass irgendjemand etwas dagegen haben würde.« Grace hickste lautstark und vergrub ihr Gesicht in einem Taschentuch.
    »Na gut«, sagte die Witwe. »Es ist nur so, dass die merkwürdigsten Leute von der Straße hier reinkommen. Einmal ging ein Pärchen sogar schnurstracks in die Küche, und dann sagten sie, sie hätten das Haus für leer gehalten.«
    »Dürften wir jetzt, da unser Berechtigungsnachweis erbracht ist, um ein Glas Wasser bitten?«, fragte Mrs. Ali.
    »Selbstverständlich«, antwortete Mrs. Augerspier. »Bleiben Sie, wo Sie sind, ich bringe es Ihnen.« Sie eilte zurück zum Haus. Die anderen verharrten in verlegenem Schweigen.
    »Eine grauenhafte Frau«, sagte der Major nach einer Weile. »Es tut mir sehr leid. Ich hätte Sie beide gleich nach Hause fahren sollen.«
    »Nein, nein, ich bitte Sie – es geht mir ja schon viel besser«, versicherte ihm Grace. »Wahrscheinlich ist mir das ein oder andere Gewürz nicht bekommen.«
    »Wir tragen wohl nicht gerade zu dem guten Eindruck bei, den Ihr Sohn hier unbedingt machen wollte«, sagte Mrs. Ali.
    »Wo denken Sie hin!«, entgegnete der Major. »Davon kann keine Rede sein. Roger wird sich sehr freuen, Sie beide zu sehen.« Gedankenverloren schwang er den Spazierstock und hatte, bevor er es überhaupt merkte, drei spätblühende Dahlien geköpft. Als er den Blick hob, sah er Roger mit einem Glas über die Wiese trotten, aus dem ihm Wasser auf die Hand schwappte. Sein Sohn sah so besorgt drein, dass er schon fast verärgert wirkte.
    »Mrs. Augerspier sagte, eine deiner Freundinnen bräuchte einen Schluck Wasser.« Und etwas leiser fügte er hinzu: »Du hast Leute mitgebracht?«
    »An Miss DeVere kannst du dich sicherlich erinnern, Roger«, entgegnete der Major und reichte Grace das Glas. »Und das ist Mrs. Ali vom Dorfladen.«
    »Sehr erfreut«, sagte Mrs. Ali. »Es tut uns leid, dass wir hier einfach eingedrungen sind.«
    »Macht nichts«, erwiderte Roger in gleichgültigem Ton. »Aber ich muss meinen Vater jetzt für ein paar Minuten entführen.«
    »Ich erinnere mich noch an dich als ganz kleinen Jungen, Roger …«, sagte Grace und fuhr sich über die Augen. »Du warst ein so süßes Kerlchen mit deiner widerspenstigen Mähne.«
    »Ist sie betrunken?«, fragte Roger seinen Vater flüsternd. »Hast du eine Betrunkene hierhergebracht?«
    »Ach was!«, antwortete der Major. »Das sind nur die Nachwirkungen unseres ziemlich opulenten indischen Mittagessens.«
    »Erinnerst du dich noch an das eine Mal, als ihr Jungs nicht nach Hause gekommen seid und im Wald Stumpen geraucht habt?«, fragte Grace. »Deine arme Mutter war überzeugt, du wärst in einem weggeworfenen Kühlschrank in irgendeiner Schlucht eingeschlossen.«
    »Entschuldigen Sie, meine Damen, aber wir müssen«, sagte Roger, bereits zum Gehen gewandt. Während der Major wieder Richtung Haus gehetzt wurde, hörte er Grace weiterplappern.
    »Die hatten sie dem Pfarrer während des Gottesdienstes aus dem Mantel geklaut, und dann war ihnen hundeelend.«
    »Das war sehr unhöflich von dir, Roger«, sagte er.
    »Unhöflich? Wie konntest du sie nur hierherbringen? Jetzt ist Mrs.

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