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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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war froh, dass die Damen auf der Heimfahrt schwiegen.
    Er war müde, und sein Kieferknochen tat ihm weh. Plötzlich merkte er, dass er die ganze Zeit die Zähne fest aufeinandergepresst hatte.
    »Ist irgendwas, Major?«, fragte Mrs. Ali. »Sie wirken verärgert.«
    »Nein, nein, alles in Ordnung. Aber es war ein langer Tag.«
    »Ihr Sohn hat das Cottage gemietet, nicht wahr? Er wirkte sehr fröhlich.«
    »Ja, ja, alles unter Dach und Fach. Er freut sich wie ein Schneekönig.«
    »Wie schön für Sie!«
    »Das Ganze war ein wenig überstürzt«, wandte der Major ein, während er direkt vor einem Traktor jäh nach rechts abbog und den Wagen auf den einspurigen Weg lenkte, den er üblicherweise als Abkürzung nach Edgecombe St. Mary nahm. »Sie sind offenbar verlobt.« Er warf einen Blick nach hinten zu Grace und hoffte, sie würde nicht wieder zu stöhnen beginnen. Das Geräusch störte ihn beim Fahren. »Geht es Ihnen besser?«
    »Viel besser, danke«, sagte Grace, deren Gesicht noch immer grau und eingefallen war. »Meinen herzlichen Glückwunsch, Major.«
    »Ich hoffe nur, die beiden wissen, in welche Lage sie sich damit bringen. Diese gemeinsame Cottage-Mieterei hat so etwas Voreiliges.«
    »So machen sie es doch heutzutage alle, selbst in den besten Familien«, warf Grace ein. »Lassen Sie sich deswegen von niemandem moralische Bedenken einreden!«
    Der Major war sofort genervt, nicht nur von ihrem Hinweis, sondern auch, weil ihr Taschentuch wie eine gefangene Taube im Rückspiegel flatterte, während sie sich damit Luft zufächelte. »Angeblich können sie das Haus irgendwann kaufen«, fuhr der Major fort. »Roger hält es für eine ziemlich clevere Investition.«
    »Wenn sich wahre Liebe mit einem klaren finanziellen Motiv paart«, sagte Mrs. Ali, »müssen alle Bedenken weichen.«
    »Sagt man das so bei Ihnen zu Hause?«, wollte Grace wissen. »Es klingt sehr passend.«
    »Nein, ich necke den Major nur ein bisschen«, antwortete Mrs. Ali. »Ich glaube, die Umstände spielen hier eine weniger große Rolle als die Tatsache, dass das Leben eine Wende genommen und Ihren Sohn und eine zukünftige Schwiegertochter in Ihre Nähe gebracht hat, Major. Aber eine solche Gelegenheit muss man einfach nutzen, nicht wahr, Miss DeVere?«
    »Absolut«, sagte Grace. »Ich hätte gern Kinder, die in meiner Nähe leben.« In ihrer Stimme schwang ein schmerzlicher Unterton mit, der nicht von irgendwelchen Magenproblemen herrührte.
    »Ich jedenfalls habe mich bemüht, die Anwesenheit meines Neffen in diesem Licht zu sehen«, sagte Mrs. Ali. »Obwohl die Jungen es einem oft nicht gerade leichtmachen.«
    »Ich werde Ihren Rat befolgen und das Beste aus der ungewohnten räumlichen Nähe meines Sohnes machen«, erklärte der Major und trat aufs Gas, um den Grenzen Little Puddletons endlich zu entkommen. »Und ich hoffe sehr, dass es ihm in unserer Beziehung um mehr geht als um einen Teil meiner alten Möbel.«
    »Sie müssen Ihren Sohn und seine Verlobte zum Ball mitbringen, Major«, sagte Grace. »Dann lernen sie alle kennen. Im Kostüm sind die Menschen doch immer so locker und offen.«
    »Ja, aber schon am nächsten Tag erinnern sie sich oft nicht mehr an einen«, entgegnete der Major. Mrs. Ali lachte.
    »Ich glaube, ich ziehe wieder mein viktorianisches Teekleid an«, sagte Grace. »Vielleicht kann ich mir ja einen Tropenhelm oder so was ausleihen.«
    »Wenn Sie möchten, würde ich Ihnen sehr gern einen Sari oder eine Tunika mit Hose und Kopftuch leihen«, bot ihr Mrs. Ali an. »Ich habe mehrere sehr formelle Ensembles, die auf dem Dachboden verstaut sind und die ich nie anziehe.«
    »Wirklich?«, rief Grace. »Also, das würde die Damen im Club bestimmt überraschen – meine Wenigkeit in voller Maharani-Pracht!«
    »Bei Ihrer Größe könnten Sie sehr gut einen Sari tragen«, fügte Mrs. Ali hinzu. »Ich suche Ihnen ein paar Teile heraus und bringe sie Ihnen zum Anprobieren vorbei.«
    »Das ist ja wirklich reizend«, sagte Grace. »Kommen Sie doch zum Tee zu mir, dann können Sie mir gleich sagen, was Sie davon halten – ich könnte darin ja auch total verboten aussehen.«
    »Sehr gern«, erwiderte Mrs. Ali. »Normalerweise habe ich dienstag- und sonntagnachmittags Zeit.« Als die Aussicht auf einen weiteren Sonntag mit Gesprächen über Kipling schwand, spürte der Major, dass er schon wieder die Zähne zusammenbiss. Er sollte lieber froh darüber sein, dass Mrs. Ali Freundschaften im Dorf schloss, sagte er sich, aber

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