Mrs Murphy 03: Mord in Monticello
wie er sie nannte, unbedingt begleiten wollte. Der Sheriff meinte, das würde Oliver vollends zur Verzweiflung bringen; aber in Cynthias Begleitung seien die Damen außer Gefahr, versicherte er Fair.
Oliver war deswegen so nervös, weil er in den vergangenen zwei Tagen Fernsehinterviews und eine wahre Belagerung durch Journalisten hatte über sich ergehen lassen müssen. Er war kein glücklicher Mensch. Vor lauter Unbehagen hatte er den Tod eines geschätzten Kollegen fast aus den Augen verloren.
Mrs Hogendobber ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Es scheint nichts verändert zu sein.«
Harry stand vor Kimballs gelbem Schreibblock und bemerkte etliche neue Notizen, die Kimball in seiner eng stehenden Schrift hingekritzelt hatte. Sie nahm den Block in die Hand. »Er zitiert hier einen Ausspruch, den Martha Randolph zu ihrem vierten Kind, Ellen Wayles Coolidge, gesagt hat.« Harry dachte laut: »Merkwürdig, dass Martha und ihr Mann ihr viertes Kind Ellen Wayles genannt haben, obwohl ihr drittes Kind ebenfalls Ellen Wayles hieß – es war mit elf Monaten gestorben. Es heißt doch, das bringt Unglück.«
Mrs Hogendobber warf ein: »Hat es aber nicht. Ellen Coolidge hatte ein gutes Leben. Ann Cary dagegen, das arme Kind, die hat gelitten.«
Cynthia lächelte. »Sie reden, als würden Sie diese Menschen kennen.«
»Das tun wir auch in gewisser Weise«, erwiderte Harry. »Als wir mit Kimball gearbeitet haben, hat er uns ununterbrochen Dinge erzählt und uns dadurch buchstäblich jahrelanges Lesen erspart. Da es kein Telefon gab, haben die Menschen sich damals ausführlich geschrieben, wenn sie getrennt waren. Ich wünschte, wir würden das heute auch tun. In ihren Briefen haben sie unschätzbare Beschreibungen, Beobachtungen und Ansichten hinterlassen. Sie haben außerdem großen Wert auf treffende gegenseitige Beurteilungen gelegt – ich glaube, sie kannten einander besser, als wir uns heute kennen.«
»Dafür gibt es eine simple Erklärung, Harry.« Mrs H. spähte über Harrys Schulter, um die Notizen zu studieren. »Den Menschen damals ist die verderbliche Erfahrung der Psychologie erspart geblieben.«
»Wollen Sie nicht vorlesen, was er geschrieben hat?« Cynthia zückte Notizblock und Bleistift.
»Das hat Martha Randolph gesagt: ›Das Elend der Sklaverei habe ich mein Lebtag ertragen, doch das ganze Ausmaß dieses bitteren Leidens ist mir nie zuvor bewusst gewesen.‹ Kimball hat darunter notiert, dass dies ein Brief vom 2. August 1825 ist, aus den Coolidge-Papieren in der Universität von Virginia.«
»Wer ist Coolidge?« Cooper schrieb auf ihren Block.
»Ellen Wayles hat einen Coolidge geheiratet -« Cooper unterbrach: »Richtig, das haben Sie mir erzählt. Irgendwann werde ich mit den Namen schon noch klarkommen. Hat Kimball etwas darüber vermerkt, warum das von Bedeutung war?«
»Hier steht: ›Nach dem Verkauf von Colonel Randolphs Sklaven, um Schulden zu bezahlen. Verkauft wurde unter anderem Susan, Virginias Zofe‹«, klärte Harry Cynthia auf. »Virginia war das sechste Kind von Thomas Mann Randolph und Martha Jefferson Randolph, die wir Patsy nennen, weil sie in der Familie so genannt wurde.«
»Könnten Sie mir einen kurzen Abriss der Geschichte geben? Warum hat der Colonel, offensichtlich gegen den Wunsch der anderen Familienmitglieder, Sklaven verkauft?«
»Wir haben vergessen, Ihnen zu sagen, dass Colonel Randolph Patsys Mann war.«
»Oh.« Sie notierte das. »Hatte Patsy denn in dieser Sache nicht auch ein Wörtchen mitzureden?«
»Coop, bis vor ein paar Jahrzehnten, bis in unsere Zeit hinein, waren Frauen im Staat Virginia die reinsten Leibeigenen.« Harry schob energisch die rechte Hand in die Tasche. »Thomas Mann Randolph konnte verdammt noch mal tun und lassen, was er wollte. Er war schon bei seiner Geburt mit großen Privilegien ausgestattet, erwies sich dann aber als schlechter Geschäftsmann. Am Ende hatte er sich seiner Familie so entfremdet, dass er Monticello im Morgengrauen zu verlassen pflegte und erst am Abend zurückkam.«
Mrs Hogendobber legte ein gutes Wort für den Mann ein: »Er war das Opfer seiner Großzügigkeit. Immer hat er Freunden mit Geld ausgeholfen, und dann, pfft.« Sie machte eine wegwerfende Geste, wobei ihre Hand aussah wie ein zappelnder Fisch. »Verstrickt in Prozesse gegen seinen eigenen Sohn Jeff, der die Stütze der Familie wurde und auf den sich sogar sein Großvater verließ.«
»Kennen Sie den Ausdruck ›Er ist zu kurz
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