Mrs Murphy 03: Mord in Monticello
geboren aus der Nacht, aus Einsamkeit und tiefem Denken. Es war den Griechen und denen, die sich über Tausende von Jahren mythologischer Metaphern bedient hatten, so unendlich klar gewesen. Sie hatte es soeben erkannt. Sie wollte diese Offenbarung gerade mitteilen, als ihr Blick auf eine Ausgabe von Dumas Malones meisterhaften Aufsätzen über das Leben Thomas Jeffersons fiel. Es war der sechste und letzte Band, The Sage of Monticello. Der Weise von Monticello.
»Ich kann mich nicht erinnern, dieses Buch hier gesehen zu haben.«
Mrs Hogendobber bemerkte das Buch auf dem Stuhl. Die anderen fünf Bände standen in den Milchkisten, die als Bücherregale dienten. »Ich auch nicht.«
»Hier.« Harry schlug eine Seite auf, die Kimball mit einem dieser kleinen grauen Karteireiter markiert hatte, wie man sie manchmal in Teebeutelschachteln findet. »Sehen Sie sich das an.«
Cynthia und Mrs Hogendobber beugten sich über das Buch, in dem Kimball auf Seite 513 mit einem pinkfarbenen Textmarker folgende Stelle hervorgehoben hatte: »Alle fünf nach Jeffersons Verfügung freigelassenen Sklaven waren Mitglieder seiner Familie; andere waren schon vorher freigelassen worden, oder man hatte ihnen, falls sie als Weiße durchgehen konnten, gestattet fortzulaufen.«
»Gestattet fortzulaufen!«, las Mrs Hogendobber laut.
»Es ist kompliziert, Cynthia, aber dies bezieht sich auf die Familie Hemings. Thomas Jefferson war von seinen politischen Feinden, den Föderalisten, bezichtigt worden, eine langjährige Affäre mit Sally Hemings gehabt zu haben. Wir glauben das nicht, aber die Sklaven haben erklärt, dass Sally die Geliebte von Peter Carr war, Thomas’ Lieblingsneffen, den er wie einen Sohn aufgezogen hatte.«
»Aber der Clou hier ist, dass Sallys Mutter, ebenfalls eine schöne Frau, halb weiß war. Ihr Name war Betty, und ihr Geliebter, wiederum laut mündlicher Sklavenüberlieferung und dem, was Thomas Jefferson Randolph gesagt hat, war John Wayles, der Bruder von Jeffersons Frau. Sie sehen, in was für einer Klemme Jefferson gesteckt hat. Fünfzig Jahre hat der Mann mit dieser Schande über seinem Haupt gelebt.«
»Gestattet fortzulaufen«, flüsterte Harry. »Miranda, wir sind am zweiten Base.«
Cooper kratzte sich am Kopf. »Ja, aber wer schlägt den Ball?«
46
Die Bibliothek der Coles erbrachte wenig, was sie nicht schon wussten. Mrs Hogendobber fand einen rätselhaften Verweis auf Edward Coles, der James Madisons Sekretär und später der erste Gouverneur des Bezirks Illinois gewesen war. Edward, Ned genannt, hatte nie geheiratet oder Kinder gezeugt. Dieser Aufgabe waren andere Coles nachgekommen. Aber ein 1823 datierter Brief enthielt einen Hinweis auf eine Gefälligkeit, die Ned Patsy erwiesen hatte. Jeffersons Tochter? Die Gefälligkeit war nicht näher erläutert.
Als die kleine Gruppe von Forscherinnen ging, winkte Samson ihnen fröhlich nach. Zuvor hatte er sie großzügig mit Erfrischungsgetränken bewirtet. Lucinda winkte auch.
Sobald der Streifenwagen verschwunden war, ging Lucinda in die Bibliothek. Sie bemerkte, dass das Geschäftsbuch nicht an seinem Platz war. Sie war Harry, Miranda und Cynthia bei der Durchsicht der Aufzeichnungen nicht zur Hand gegangen, weil sie eine Verabredung in Charlottesville hatte, und Samson war beinahe übereifrig darauf bedacht gewesen, die Gastgeberpflichten zu übernehmen.
Sie suchte die Bibliothek nach dem Ordner ab. Samson kam hereingeschlendert, ein Glas mit vier Eiswürfeln und seinem Lieblingswhisky Dalwhinnie in der Hand. Er öffnete eine Schranktür und setzte sich in einen Ledersessel. Er schaltete den Fernseher ein, der in dem Schrank verborgen war. Er und Lulu konnten es nicht ertragen, ein Fernsehgerät im Raum stehen zu sehen. Sah zu sehr nach Mittelklasse aus.
»Samson, wo ist dein Geschäftsbuch?«
»Das hat nichts mit Jefferson oder seinen Nachkommen zu tun, meine Liebe.«
»Nein, aber es hat eine Menge mit Kimball Haynes zu tun.«
Er stellte den Ton ab, und sie riss ihm die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Fernseher ganz aus.
»Verdammt, was ist los mit dir?« Sein Gesicht lief rot an.
»Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich erreiche dich kaum noch an deinem Mobiltelefon. Wenn ich dich dort anrufe, wo du angeblich hingehen wolltest, bist du nicht da. Ich bin vielleicht nicht die hellste Frau der Welt, Samson, aber die dümmste bin ich auch nicht.«
»Ach, fang bloß nicht wieder mit diesen Parfum-Vorhaltungen an. Das ist doch
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