Mrs Murphy 03: Mord in Monticello
Häuptlingen der siegreichen Stämme an die Portugiesen verkauft. Schauen Sie, damals war die Welt sozusagen geschrumpft. Niederafrika stand in Verbindung mit Europa, und die Erzeugnisse Europas verlockten die Menschen überall. Nach einer Weile stiegen auch andere Europäer in den Handel ein und segelten mit ihrer menschlichen Fracht nach Südamerika, in die Karibik und nach Nordamerika. Sie fingen sogar an, selbst auf Menschenjagd zu gehen, wenn die Kriege abebbten. Der Bedarf an Arbeitskräften in der Neuen Welt war enorm.«
»Mrs Hogendobber, was hat das mit Thomas Jefferson zu tun?«
»Zweierlei. Erstens ist er in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die meisten Menschen Sklaverei für normal hielten. Und zweitens – und das plagt uns heute noch – waren die Besiegten, die Sklaven, keine Europäer, sondern Afrikaner. Sie konnten nicht mithalten. Verstehen Sie?«
Cynthia kaute wieder auf ihrem Radiergummi. »Langsam verstehe ich.«
»Selbst wenn ein Sklave oder eine Sklavin sich die Freiheit erkaufte oder freigelassen wurde oder wenn der afrikanische Mensch von vornherein frei war, so sah er doch nie wie ein Weißer aus. Anders als bei den Römern oder Griechen, deren Sklaven anderen europäischen Stämmen oder anderen weißen Völkern angehörten, war die Sklaverei in Amerika mit einem Stigma behaftet, weil sie automatisch mit der Hautfarbe in Verbindung gebracht wurde – mit furchtbaren Folgen.«
Harry warf ein: »Aber Jefferson glaubte an die Freiheit. Er fand Sklaverei grausam, doch ohne seine Sklaven konnte er nicht existieren. Er hat sie gut behandelt, und sie standen treu zu ihm, weil er, verglichen mit anderen Sklavenhaltern jener Zeit, ordentlich für sie sorgte. Aber er war in einer Zwickmühle. Er konnte sich nicht vorstellen, seine Ansprüche herunterzuschrauben. Die Virginier sehen sich heute wie damals als englische Lords und Ladys. Damit ist ein sehr, sehr hoher Lebensstandard verbunden.«
»Der ihn ruiniert hat.« Mrs Hogendobber nickte traurig mit dem Kopf. »Und noch seine Erben belastet hat.«
»Ja, aber das Interessanteste an Jefferson war, jedenfalls für mich, seine Erkenntnis, was die Sklaverei den Menschen antut. Er sagte, sie zerstöre den Unternehmungsgeist der Herren, während sie die Opfer erniedrige. Sie unterhöhle die Fundamente der Freiheit. Er glaubte fest daran, dass die Freiheit ein Geschenk Gottes und das Recht aller Menschen sei. Deshalb entwarf er einen Plan für eine allmähliche Abschaffung der Sklaverei. Natürlich hat keiner auf ihn gehört.«
»Haben sich auch andere Leute auf diese Weise ruiniert?«
»Sie müssen bedenken, dass die Generation, die im Unabhängigkeitskrieg gekämpft hat, zusehen musste, wie ihre Währung immer mehr abgewertet wurde, bis sie am Ende ihre Kaufkraft völlig eingebüßt hatte. Das einzig wirklich Sichere war Landbesitz, schätze ich.« Mrs Hogendobber überlegte laut: »Jefferson hat eine Menge verloren. James Madison hat sich sein Leben lang mit hohen Schulden und mit den Widersprüchen der Sklaverei geplagt, und Dolley musste nach seinem Tod Montpellier verkaufen, das Haus seiner Mutter, in dem sie später gewohnt hatten. Apropos Sklaverei, einer von James’ Sklaven, der Dolley wie eine Mutter liebte, gab ihr seine gesamten Ersparnisse, und er blieb bei ihr und arbeitete weiterhin für sie. Wie Sie sehen, waren die Gefühle zwischen Herrn oder Herrin und Sklaven äußerst komplex. Die Menschen haben sich über einen Abgrund an Ungerechtigkeit hinweg geliebt. Ich fürchte, das ist uns verloren gegangen.«
»Wir müssen lernen, uns als Gleiche zu lieben«, sagte Harry und zitierte aus der Bill of Rights. »›Dies halten wir für die unumstößliche Wahrheit: Alle Menschen sind von Natur gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewisse angeborene Rechte; nämlich das Recht auf Leben und Freiheit und dazu die Möglichkeit, Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen.‹«
»Geschichte. Auf dem College habe ich sie gehasst. Sie beide lassen sie lebendig werden«, lobte Cynthia sie und ihren kurzen Exkurs über Jefferson.
»Sie ist lebendig. Diese Wände atmen. Alles, was jemals auf Erden getan oder unterlassen wurde, hat Auswirkungen auf uns. Alles!«, ereiferte sich Mrs Hogendobber.
Harry, von Mrs Hogendobbers Ausführungen gebannt, hörte draußen eine Eule schreien. Der tiefe, traurige Klang brach den Bann und erinnerte sie an Athene, die Göttin der Weisheit, der die Eule geweiht war. Die Weisheit war
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