Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
konnten. Dann sprach sie wieder. »Sandy Brashiers. Wer sonst? Nein, nein und nein«, sagte sie, nachdem sie sich drei Fragen angehört hatte. »Soll ich jemanden anrufen? Reg dich nicht auf, dadurch wird es nicht besser.«
»Sie wird genau wie ihre Mutter«, prophezeite Miranda, als Susan einhängte.
»Little Mim hat nicht den Elan ihrer Mutter.«
»Harry, nicht nur glaube ich, dass sie den Elan ihrer Mutter hat, ich vermute zudem, dass sie sich um den Posten ihres Vaters bewerben wird, wenn er einmal als Bürgermeister zurücktritt.«
»Niemals.« Harry konnte nicht glauben, dass die schüchterne Frau, die sie seit ihrer Kindheit kannte, dermaßen selbstbewusst werden könnte.
»Ich wette mit Ihnen um fünf Dollar«, sagte Miranda siegessicher.
»Little Mim sagt, die Millers lassen sich scheiden.«
»Ach du meine Güte.« Miranda hasste derartige Vorkommnisse.
»Höchste Zeit.« Harry hörte auch nicht gern von Scheidungen, doch es gab Ausnahmen. »Aber stimmt schon, so was wie gute Scheidungen gibt es nicht.«
»Doch, deine«, entgegnete Susan.
»Wie schnell du vergisst! Während der sechs Trennungsmonate hat jedes Ehepaar und jede alleinstehende Frau in dieser Stadt meinen Exmann zum Essen eingeladen. Und wer hat mich eingeladen?«
»Ich«, antworteten Miranda und Susan im Chor.
»Und das war’s auch schon. Die Tatsache, dass ich die Scheidung eingereicht habe, hat mich zum Ungeheuer gestempelt. Dabei war er derjenige, der die verdammte Affäre hatte!«
»Es lebe der Sexismus.« Susan teilte Schichtsalat aus sieben verschiedenen Zutaten aus, ihre Spezialität. Sie hielt inne, das Salatbesteck in der Luft. »Konntet ihr Roscoe Fletcher leiden?«
»De mortuis nil nisi bonum«, mahnte Miranda.
»Über die Toten soll man nur Gutes sprechen«, übersetzte Harry, obwohl es nicht nötig gewesen wäre.
»Vielleicht wurde das gesagt, weil man fürchtete, die Geister der Verstorbenen seien in der Nähe. Wenn sie einem schon als Lebende Ärger gemacht haben, nicht auszudenken, was sie einem als Geister antun können.«
Susan wiederholte ihre Frage: »Konntet ihr Roscoe Fletcher leiden?«
Harry zögerte, dann: »Ja, er hatte viel Energie und einen feinen Humor.«
»Ein bisschen zu jovial für meinen Geschmack.« Miranda fand den Salat lecker. »Haben Sie ihn gemocht?«
Susan zuckte die Achseln. »Ich hatte eigentlich gar keine Meinung. Manchmal kam er mir ein bisschen verlogen vor. Aber das war vielleicht der Spendensammler in ihm. Da muss man sich wohl anbiedern.«
»Sind wir nicht schrecklich, sitzen hier und nehmen den armen Mann auseinander?« Miranda tupfte sich die geschminkten Lippen mit einer Serviette ab.
Das Telefon klingelte wieder. Susan sprang auf. »Apropos jemanden in Frieden ruhen lassen, ich würde gern in Ruhe essen.«
»Du musst ja nicht rangehen«, schlug Harry vor.
»Mütter gehen immer ans Telefon.« Sie nahm das schrillende Monstrum ab. »Hallo.« Es folgte eine lange Pause. »Danke, dann weiß ich Bescheid. Es war genau das Richtige.«
Little Mim hatte zurückgerufen, um mitzuteilen, dass St. Elizabeth mittels eines Rundrufs eine Notkonferenz einberufen hatte.
Sandy Brashiers war zum einstweiligen Direktor ernannt worden.
23
Am späten Nachmittag faltete der müde Father Michael sein mageres Gestell in den Beichtstuhl.
Für gewöhnlich las er, bis sich jemand auf der anderen Seite der Kabine einfand. Die Bewohner von Crozet waren ausgesprochen tugendhaft gewesen; denn es herrschte wenig Andrang.
Das Rascheln des Stoffes schreckte ihn auf; er war halb eingenickt über dem Buch von Thomas Merton, ein Schriftsteller, den er normalerweise höchst anregend fand.
»Vater, vergib mir; denn ich habe gesündigt«, kam die förmliche Einleitung.
»Fahre fort, mein Kind.«
»Ich habe getötet und werde wieder töten.« Die Stimme war gedämpft, verstellt.
Er war auf der Stelle hellwach, doch bevor er den Mund aufmachen konnte, schlich sich der bußfertige Sünder aus dem Beichtstuhl. Verwirrt überlegte Father Michael, was er tun sollte. Er musste im Beichtstuhl bleiben; denn die Beichtstunden waren allgemein bekannt – er hatte Verantwortung für seine Herde –, aber andererseits wollte er auf der Stelle Rick Shaw verständigen. Erstarrt umklammerte er das Buch so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. Der Vorhang raschelte wieder.
Eine Männerstimme sprach, tief und leise. »Vater, vergib mir; denn ich habe gesündigt.«
»Fahre fort, mein Kind«, sagte Father
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