Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
musste sie trotzdem irgendwas zum Anziehen aufstöbern, sich einen Begleiter schnappen, auf ihrem Posten sein und mit fürchterlich faden Leuten quatschen. Sie dachte an die anderen Aufsichtspersonen. Einer war Maury McKinchie, der die meisten Menschen faszinierte, bloß Harry nicht. Da er zur Aufsicht gehörte, würde sie mit ihm plaudern müssen. Sein Standardrepertoire, die delikaten Geschichten, welcher Star in seinen diversen Filmen was mit wem tat, langweilte sie zu Tode. Wäre er ein Jäger gewesen, hätte sie ihn vielleicht ertragen, aber er war keiner. Er schien außerdem viel zu sehr an ihren Brüsten interessiert. Maury gehörte zu jenen Männern, die einer Frau nicht in die Augen sahen, wenn sie mit ihr sprachen – er sprach mit ihren Brüsten.
Sandy Brashiers hielt sie so lange aus, bis er über die anderen Lehrkräfte von St. Elizabeth herzog. Da Roscoe nun tot war, musste er sich einen neuen Prügelknaben suchen. Immerhin sah er ihr in die Augen, wenn er mit ihr sprach, und das war erquicklich.
Ed Sugarman sammelte alte Zigarettenreklamen. Er ließ sich gern über die chemischen Eigenschaften von Nikotin aus, aber wenn sie ihn auf das Thema Fußball lenken konnte, erwies er sich als kenntnisreich und unterhaltsam.
Renee Hallvard konnte lebhaft sein. Harry fiel ein, dass die gefürchtete Florence Rubicon auf der Tanzfläche herumschleichen würde. Harrys Lateinkenntnisse verflüchtigten sich von Jahr zu Jahr mehr, aber sie hatte genug von Catull behalten, um das alte Mädchen beglücken zu können.
Harry lachte in sich hinein. Alle Lateinlehrer und -professoren, bei denen sie je studiert hatte, waren komische Vögel gewesen, doch hatten alle etwas sehr Liebenswertes gehabt. Sie las immer noch Latein, und sei es, um sich an vollendeter Überspanntheit zu ergötzen.
»Die kann ich nicht anziehen!« Harry zuckte zusammen und schleuderte einen schmalen Pumps von sich. Der Lackschuh schlitterte über den Fußboden. Sie sah auf die Uhr und stöhnte wieder.
»Du hast noch Zeit«, sagte Mrs Murphy. »Lass den Frack sausen. Der passt nicht zu dir.«
»Ich hab dich schon gefüttert.«
»Sei nicht so vernagelt. Zieh den Frack aus.« Murphy sprach lauter, eine Gewohnheit von ihr, wenn Menschen sich als begriffsstutzig erwiesen. »Du brauchst was Fantasievolles.«
»Harry hat keine Fantasie«, erklärte Tucker treuherzig.
»Sie hat schöne Beine«, erwiderte Pewter.
»Was hat das mit Fantasie zu tun?«, wollte Tucker wissen.
»Nichts, aber sie sollte was anziehen, das ihre Beine betont.«
Mrs Murphy schlurfte in den Kleiderschrank. »Da hängt ein armseliger Rock drin.«
»Ich wüsste nicht mal, dass Mom einen Rock hat.«
»Der muss noch von ihrer Collegezeit übrig sein.« Die Tigerkatze inspizierte den braunen Rock.
Pewter leistete ihr Gesellschaft. »Ich dachte, sie wollte ihren Kleiderschrank ausmisten?«
»Sie hat ihre Kommode aufgeräumt; das ist schon mal ein Anfang.«
Die beiden Katzen lugten an dem Rock hoch, dann sahen sie sich an.
»Wollen wir?«
»Los.« Pewters Augen weiteten sich.
Sie langten hinauf, die Krallen ausgefahren, und zerfetzten den Rock.
»Juhu!« Mit Verve machten sie sich ans Werk.
Als Harry das Geräusch von reißendem Stoff hörte, steckte sie den Kopf in den Schrank; die nackte Glühbirne baumelte über ihr. »He!«
Nach einem letzten kräftigen Ruck schoss Mrs Murphy aus dem Schrank. Pewter, die eine Spur langsamer war, folgte ihr.
Entsetzt nahm Harry den Rock heraus. »Ich könnte euch beiden den Schädel einschlagen. Ich habe diesen Rock seit meinem zweiten Highschool-Jahr.«
»Das wissen wir«, kicherte es unter dem Bett hervor. »Katzen können so destruktiv sein.« Tuckers seelenvolle Augen liefen über von Mitgefühl.
»Schleimscheißerin!«, warf Murphy ihr vor.
»Ich bin ein starkes Katzentier mit wunderbaren Krallen. Ich reiße, zerre, lasse gar vom Himmel Fetzen fallen«, sang Pewter.
»Na großartig. Erst meinen Rock ruinieren und jetzt unterm Bett jaulen.« Harry kniete sich hin und sah vier leuchtende hellgrüne Augen, die sie anguckten. »Ungezogene Katzen.«
»Hihi.«
»Ich meine es ernst. Ihr kriegt keine Leckerbissen.«
Pewter lehnte sich an Murphy. »Daran bist du schuld.«
»Du würdest mich für einen Leckerbissen verraten.« Murphy versetzte ihr einen Stoß.
Harry ließ die Rüsche der Tagesdecke wieder fallen. Sie starrte auf den ruinierten Rock.
Murphy rief von ihrem sicheren Ort aus. »Geh als Vagabund. Du weißt schon, als
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