Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
alles.«
Er hielt ihr die Tür auf. Sie traten in das Verwaltungsgebäude, wo im Erdgeschoss auch einige Klassenzimmer untergebracht waren. Ein Schwall warmer Heizungsluft empfing sie.
Sie stiegen die breite Treppe zum ersten Stock hinauf und betraten Roscoes Büro aus der Richtung, die sie nicht an Aprils Büro vorbeiführte.
Sie war auf Händen und Knien dabei, Videokassetten in einen Pappkarton zu räumen.
»April, das kann ich doch machen«, sagte Naomi.
Ohne aufzustehen, erwiderte April: »Die gehören McKinchie. Ich wollte sie ihm heute Nachmittag zurückgeben.« Sie hielt eine Kassette mit der Aufschrift Red River hoch. »Er hat uns seine Videothek für unsere Filmgeschichtswoche geliehen.«
»Ja, richtig, das hatte ich ganz vergessen.« Naomi sah die Mädchen der Hockeymannschaft zusammen aus der Cafeteria kommen. Karen Jensen, die vorneweg ging, warf Brooks Tucker einen Apfel zu.
»April, ich ziehe nächste Woche in dieses Büro. Ich kann in dem kleinen Behelfsbüro keine Konferenzen abhalten. Würden Sie für mich bei der Firma Design Interiors anrufen? Ich hätte gern, dass sie jemanden hier vorbeischicken.« Sandys Stimme war klar.
»Was haben Sie dagegen, alles so zu lassen, wie es ist? Das spart uns Geld.« Sie warf weitere Kassetten in den Karton und vermied es, Sandy in die Augen zu sehen.
»Ich möchte, dass es bequem -«
»Es ist bequem«, unterbrach sie ihn.
»- für mich ist«, fuhr er fort.
»Aber Sie werden vielleicht nicht auf Dauer zum Direktor ernannt. Die Schulbehörde wird den Posten ausschreiben. Wozu unnötig Geld ausgeben?«
»April, das wird nicht vor Ende dieses Schuljahres geschehen«, warf Naomi freundlich, aber bestimmt ein. »Sandy braucht unsere Unterstützung, wenn er sein Bestes für St. Elizabeth geben soll. In Roscoes Schatten zu arbeiten« – sie wies auf den Raum, die Gemälde – »ist nicht der richtige Weg.«
April stand auf. »Warum helfen Sie ihm? Er hat Roscoe auf Schritt und Tritt Steine in den Weg gelegt!«
Naomi hob die behandschuhten Hände zu einer Geste des Friedens. »April, Sandy hat in unserem Kreis Themen zur Sprache gebracht, die uns auf heikle Fragen seitens des Komitees vorbereitet haben. Er war nicht der beste Freund meines Mannes, aber er hatte stets das Wohl von St. Elizabeth im Sinn.«
April kniff die Lippen zusammen. »Ich mag’s zwar nicht tun, aber ich tu’s für Sie.« Sie hob den Karton auf, ging an Sandy vorbei und schloss die Tür hinter sich.
Er atmete aus, schob die Hände in die Taschen. »Naomi, ich verlange nicht, dass April entlassen wird. Sie hat der Schule viele Jahre gedient, aber ich kann unmöglich mit ihr arbeiten oder sie mit mir. Ich muss mir eine eigene Sekretärin suchen – und das wird das Budget strapazieren.«
Sie zog schließlich ihre Handschuhe aus und setzte sich auf die Kante von Roscoes wuchtigem Schreibtisch. »Wir werden sie entlassen müssen, Sandy. Sie wird zum Aufruhr anstacheln, egal, wo sie sitzt.«
»Vielleicht hat McKinchie Verwendung für sie. Er hat genug Geld, und sie wäre glücklich als Privatsekretärin in dem kleinen Büro bei ihm zu Hause.«
»Sie wäre nirgendwo glücklich.« Naomi war das ganze Thema zuwider. »Sie war so in Roscoe verliebt – ich habe ihn immer deswegen aufgezogen. In ihren Augen wird ihm keiner jemals das Wasser reichen können. Wissen Sie, wenn er von ihr verlangt hätte, für ihn durch die Hölle zu gehen, ich glaube, sie hätte es getan.« Sie lächelte wehmütig. »Na ja, sie musste ja nicht mit ihm leben.«
»So weit muss sie meinetwegen gar nicht gehen, aber ich vermute, dass Sie recht haben. Sie muss weg.«
»Sprechen wir zuerst mit Marilyn Sanburne – Mim. Vielleicht hat sie eine Idee.«
»Großer Gott, Mim würde die Schule leiten, wenn man sie ließe.«
»Die ganze Welt.« Naomi baumelte mit den Beinen. »St. Elizabeth ist eine zu kleine Bühne für Mim, die Mächtige.«
April machte die Tür auf. »Ich weiß, dass Sie über mich reden.«
»In ebendiesem Moment reden wir über Mim.«
Verbittert schloss April die Tür. Sandy und Naomi sahen sich achselzuckend an.
36
»Wie bin ich bloß hier reingeraten?«, jammerte Harry. Ihre Fellfamilie sagte nichts, als sie an ihrem hastig improvisierten Kostüm herumfummelte. Da ihr eine kleine Gruppe von Freunden lieber war als eine große Party, musste man sie zu größeren Veranstaltungen regelrecht hinschleppen. Auch wenn es ein Highschool-Ball war und sie zum Aufsichtspersonal gehörte,
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