Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
eine von diesen armen Gestalten aus einem Roman von Victor Hugo.«
»Ob ich wohl ein Kostüm daraus machen könnte?«
»Sie hat’s gerafft!« Pewter war von den Socken.
»Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.« Mrs Murphy rutschte unter dem Bett hervor. »Ich sorge dafür, dass sie zwei und zwei zusammenzählt.«
Damit stürmte sie aufs Bett, und vom Bett flitzte sie zum Schrank und krallte sich an die Kleider. Da hing sie schaukelnd, wählte sodann das gammeligste Hemd, das sie finden konnte. Sie schlug ihre Krallen hinein und ließ sich auf den Boden gleiten; das berauschende Reißen von Stoff verkündete ihren Abstieg.
»Du bist verrückt!« Harry sauste hinter ihr her, doch Murphy stürmte ins Wohnzimmer und sprang auf eine Sessellehne, dann wackelte sie mit dem Hinterteil, als wollte sie auf das Bücherregal springen, das nicht nur Bücher, sondern auch Harrys Bänder und Trophäen enthielt. »Wag es ja nicht.«
»Dann lass mich in Ruhe«, gab Murphy frech zurück, »und sieh zu, dass du dein Vagabundenkostüm zusammenkriegst. Die Zeit rennt davon.«
Mensch und Katze gingen in Kampfstellung, Auge in Auge. »Du bist schlecht gelaunt, Miezekatze.«
Tucker schlich auf Zehenspitzen hinaus. Pewter blieb unterm Bett und spitzte die Ohren.
»Was ist in dich gefahren?«
»Es ist Halloween«, kreischte Murphy.
Harry wollte die übermütige Katze packen, doch Mrs Murphy wich ihr mühelos aus. Sie hüpfte auf die andere Seite des Sessels, lief dann wieder ins Schlafzimmer, wo sie zwischen die Kleider sprang und noch mehr zerriss.
»Juhuh! Bansai! Tod dem Kaiser!«
Tucker lachte. »Hast du dir wieder diese Filme über den Zweiten Weltkrieg angeguckt?«
»Nicht schießen, bis du das Weiße in ihren Augen siehst.« Murphy sprang in die Luft, vollführte einen vollen Kreis und landete mitten in den Kleidern.
»Sie ist auf dem Militärtrip.« Pewter kroch unter dem Bett hervor. »Wenn wir deinetwegen beide bestraft werden, Murphy, werd ich richtig sauer.«
Murphy katapultierte sich vom Bett direkt auf Pewter. Die beiden wälzten sich auf dem Schlafzimmerfußboden, und Harry amüsierte sich über den Katzenkampf.
Schließlich befreite sich Pewter erschöpft aus Murphys Griff. Sie stakste zur Küche.
»Angsthase.«
»Und du bist ein Fall für die Klapsmühle«, schoss Pewter zurück.
»Alles, was heute Abend noch passiert, wird gegen das hier verblassen«, sagte Harry seufzend.
Junge, Junge, war sie auf dem Holzweg.
37
Little Mim, das Gesicht angespannt unter der Puderschicht, schritt mit wogender Perücke über den auf Hochglanz gewienerten Turnhallenboden zu Harry. Zumindest glaubte sie, dass es Harry war; denn der hünenhafte Begleiter des Vagabunden, ein Pirat, konnte kein anderer als Fair sein. Der Ball wurde dank der Band Yada Yada Yada ein Riesenerfolg.
Das Krummschwert, das in seiner Schärpe steckte, ließ Fair gefährlich aussehen. Auch andere Ballgäste trugen Schwerter, Stonewall Jackson und Julius Caesar. Einige hatten Pistolen bei sich, die sich bei näherem Hinsehen als Wasserpistolen entpuppten. Karen Jensen, die eine goldene Maske trug, machte die Jungen verrückt, weil sie als goldhaarige Artemis gekommen war. Karen ließ eine ganze Menge von sich sehen, und das war erste Sahne.
Doch auch Harry ließ einiges von sich sehen, und das war ebenfalls nicht von Pappe.
Little Mim legte ihre Hand auf Harrys Arm. »Kann ich dich mal eben sprechen.«
»Klar. Fair, ich bin gleich wieder da.«
»Okay«, murmelte er in seinen gezwirbelten Schnurrbart hinein.
Marilyn zog Harry in eine Ecke der Halle. Hinter ihnen knutschten Madonna und King Kong. King Kong legte sich mächtig ins Zeug.
»Ich hoffe, du bist mir nicht böse. Ich hätte dich vorher anrufen sollen.«
»Weswegen?«
»Ich habe Blair zum Ball gebeten. Es war nicht bloß, weil ich einen Begleiter brauchte, sondern ich dachte, ich könnte ihn für die Schule interessieren und -«
»Ich habe ihn nicht für mich gepachtet. Wir sind bloß Freunde«, sagte Harry beschwichtigend.
»Danke. Ich hatte gehofft, dass du es verstehen würdest.« Ihre Perücke wankte. »Wie sind die bloß damals mit diesen Dingern zurechtgekommen?« Sie sah sich um. »Kannst du erraten, wer Stonewall Jackson ist?«
»Hmm, dem Wanst nach zu urteilen eine Aufsichtsperson«, behauptete Harry. Schüler hatten keine dicken Bäuche.
»Kendrick Miller.«
»Wo ist Irene? Bei den beiden ist doch noch nicht der Dritte Weltkrieg ausgebrochen,
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