Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
anderen Ausgang am Ende der Turnhalle hinaus. Trotzdem gelang es einigen Schülern, in den Flur zu schleichen und die Leiche zu sehen.
Karen und Sean starrten nur stumm.
Jody trat hinter sie, ohne Maske, das Haar zerzaust, und erfasste die grausige Situation. »Dad? Dad, was ist hier los?«
Cynthia schlug ihr Notizbuch auf und stellte Fragen.
Sandy Brashiers sagte leise zu Little Mim: »Die Leute werden ihre Kinder hier rausnehmen. Bis Montag ist die Schule eine Geisterstadt.«
39
Kastanienbraune Stoppeln bedeckten Rick Shaws kantiges Kinn. Da sein schütteres Haar hellbraun war, amüsierte Cynthia Cooper der Kontrast, obwohl es im Augenblick wenig gab, was man als amüsant hätte bezeichnen können.
Der Aschenbecher im Büro quoll über. Die Kaffeemaschine blubberte pausenlos, um mit einer stimulierenden Tasse nach der nächsten dienen zu können.
Cynthia bedauerte Maury McKinchies Ermordung, nicht nur, weil ein Mensch buchstäblich kaltgestellt worden war, sondern weil der Sonntag, der in wenigen Stunden heraufdämmern würde, ihr freier Tag war. Sie hatte vorgehabt, in die schöne Stadt Monterey zu fahren, die dicht an der Grenze zu West Virginia lag. Sie wäre allein gefahren. Ihr Job gestattete ihr kein ausgiebiges Privatleben. Nicht, dass sie keinen Männern begegnete. Weit gefehlt. Gewöhnlich rasten sie mit hundertzwanzig Sachen über die Landstraße. Sie lächelten selten, wenn sie sie sahen, obwohl sie ein hübscher Anblick war. Beim Einsammeln der Betrunkenen im Einkaufszentrum bekam sie ganze Horden von Männern zusammen, und die fielen alle über sie her – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein gelegentliches Vergehen im gehobenen Management würzte ihre Ernte an eingefahrenen Männern.
Während der letzten Jahre ihrer Zusammenarbeit waren sie und Rick sich nähergekommen. Da er ein glücklich verheirateter Mann war, befleckte nicht die Spur von Unziemlichkeit ihre Beziehung. Sie konnte sich auf seine Freundschaft verlassen, die schwer errungen war; denn als sie seinerzeit als erste Frau in seine Mannschaft kam, war Rick alles andere als begeistert gewesen.
Der einzige Mann, den sie wirklich gernhatte, Blair Bainbridge, entflammte viele Herzen. Sie fürchtete, dass sie keine Chance hatte.
Rick arbeitete gern mit Flussdiagrammen. Er legte drei an und verwarf am Ende alle drei.
»Wie spät ist es?«
»Halb sechs.«
»Vor Morgengrauen ist es immer am dunkelsten«, zitierte Rick ein altes Sprichwort. Er schwenkte die Füße auf seinen Schreibtisch. »Ich gebe es ungern zu, aber ich bin ratlos.«
»Wir haben Kendrick Miller in Untersuchungshaft.«
»Nicht mehr lange. Er wird sich für teures Geld einen Anwalt nehmen, und das war’s dann. Und mir ist der Gedanke gekommen, dass Kendrick kein Mann ist, der sich beim Morden erwischen lässt. Über einem Opfer zu stehen, das sich am Boden krümmt, das passt nicht zu ihm.«
»Er hat vielleicht den Kopf verloren.« Sie leerte ihre Tasse. Sie konnte keinen weiteren Schluck Kaffee mehr sehen. »Aber Sie kaufen ihm seine Aussage nicht ab, oder?«
»Nein.« Er hielt inne. »Wir befassen uns mit Tatsachen. Tatsache ist, er hatte ein blutiges Schwert in der Hand.«
»Und noch zwei andere Ballgäste hatten Schwerter. Einer von ihnen hat sich in Luft aufgelöst.«
»Oder er wusste, wo er sich verstecken konnte.«
»Nicht einer von den Schülern weiß, wer der Musketier war, keiner hat ihn sprechen hören.« Cooper lehnte sich an das kleine Waschbecken in der Ecke des alten Büroraums. Sie hielt sich die Finger an die pochenden Schläfen. »Chef, wir sollten noch mal einen Schritt zurückgehen. Fangen wir bei Roscoe Fletcher an.«
»Ich höre.«
»Sandy Brashiers war scharf auf Roscoes Job. Sie waren nie einer Meinung.«
Er hob die Hand. »Zugegeben, aber morden, um Direktor von St. Elizabeth zu werden – lohnt das die Mühe?«
»Menschen haben schon für weniger getötet.«
»Sie haben recht. Sie haben ja recht.« Er faltete die Hände vor der Brust und nahm sich vor, in Sandys Vergangenheit zu kramen.
»Jeder hätte Roscoe vergiften können. Er hat sein Auto und sein Büro nie abgeschlossen. Man musste kein Genie sein, um einen vergifteten Bonbon in seinen Wagen oder seine Tasche zu schmuggeln oder ihm zu geben. Das konnte jeder tun.«
»Aber wer wollte so etwas tun?« Sie legte die Hände hinter den Kopf. »In der Dose mit Erdbeerbonbons in seinem Wagen wurde keine Spur von Gift gefunden. Und so, wie er Bonbons verteilt hat, wäre der
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