Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
himmlisch. Sie beherrschte sich und sprang auf den Boden, um die rechte untere Schublade herauszuziehen. Der Inhalt erwies sich als noch enttäuschender als der der mittleren Schublade: ein Handtrainer zur Kräftigung der Handmuskulatur, ein paar Disketten, obwohl kein Computer im Zimmer war, und ein altes Springseil.
»Riechst du was?«
Tucker hob den Kopf. »Hier waren zu viele Leute drin. Ich rieche Mäuse. Aber das ist nicht verwunderlich. Sie lieben Gebäude, wo die Menschen abends nach Hause gehen – da sind sie ungestörter.«
»Die Bücherregale sind Fehlanzeige. Keine verborgenen Knöpfe.«
Enttäuscht, weil sie nichts fanden, sprang Murphy in die Schublade und robbte nach hinten. Ihre Pupillen, von der Dunkelheit in der Schublade geweitet, zogen sich rasch zu kleineren Kreisen zusammen, als sie heraussprang. Sie bemerkte einen kleinen selbsthaftenden, an den Ecken eingerollten Adressenaufkleber, der sich von einem Päckchen gelöst haben musste. »Hier ist ein alter Postaufkleber. Filmlabor Neptun, Brooklyn, New York – und drei zerbissene Bleistifte mit abgekauten Radiergummis. Dieser Raum ist so sauber wie ein abgenagter Hühnerknochen.«
»Wir könnten da hingehen, wo Maury McKinchie umgebracht wurde, in den Flur vor der Turnhalle«, schlug Tucker vor.
»Gute Idee.« Mrs Murphy sauste zur Tür hinaus.
»Sie könnte wenigstens auf uns warten. Sie kann so ungehobelt sein.« Pewter folgte ihr.
In der weitläufigen Turnhalle hallte die Stille wider. Das Klacken von Tuckers Krallen, die sie nicht einziehen konnte, schallte wie Blechtrommeln.
»Weißt du, welcher Flur?«
»Nein«, antwortete Mrs Murphy auf Tuckers Frage, »aber es gibt nur eine Möglichkeit. Die beiden Seitenflure führen zu den Umkleiden. Ich glaube nicht, dass Maury dorthin wollte. Er ist vermutlich durch die Flügeltür gegangen, die zum Trophäensaal und der großen Eingangstür führt.«
»Warum sind wir dann durch die Hintertür gekommen?«, brummte Pewter.
»Weil unsere Sinne schärfer sind. Wir könnten in den Umkleiden etwas entdecken, was einem Menschen entgeht. Nicht bloß schmutzige Socken, auch Kokain hat einen strengen ranzigen Geruch, und Marihuana ist so einfach auszumachen, dass es sogar ein Welpe erkennen könnte.«
»Ich verwahre mich dagegen. Ein Jagdhundwelpe wird mit einer goldenen Nase geboren.«
»Tucker, ich sage es dir ungern, aber du bist ein Corgi.«
»Das weiß ich sehr wohl, du Klugscheißerin.«
Bereits in Kampflaune, blieb sie vor einem ramponierten hellgrünen Spind stehen. »Moment mal.« Sie schnupperte am unteren Teil des Spinds und legte die Nase an den Lüftungsschlitz. »Süßlich, klebrig.«
»He, seht euch das an.« Pewter hob unwillkürlich eine Pfote und wich einen Schritt zurück.
»Tot.« Mrs Murphy bemerkte die Ameisenstraße, die in den Spind mündete. Sie blickte hoch. »Nummer hundertvierzehn.«
»Wie kommen wir da rein? Sofern wir das wollen?« Pewter machte einen Satz über die Ameisen hinweg.
»Wir können nicht rein.« Tucker zeigte auf das schwere Zahlenschloss, das an der Spindtür hing.
»Warum zur Schule gehen, wenn man seine Sachen einschließen muss? Kinder bestehlen Kinder. Das ist nicht recht.«
»Es ist nicht recht, aber wahr«, antwortete Mrs Murphy nüchtern. »Wir kriegen niemanden zu diesem Spind. Sogar der Hausmeister ist abgedüst.«
»Der fährt Fahrrad«, sagte Tucker lakonisch und dachte an Powder Hadly, Mitte dreißig und ausgesprochen einfältig. Er war so einfältig, dass er die schriftliche Führerscheinprüfung nicht bestanden hatte, obwohl er ganz passabel Auto fuhr.
»Du hast mich schon verstanden.« Die Tigerkatze schubste die Corgihündin. Tucker schubste zurück, sodass die Katze stolperte.
»Trottel.«
»Wenn du das machst, ist das in Ordnung. Wenn ich irgendwas mache, meckerst du und stöhnst und kratzt.«
»Was machst du denn?«
»Dein Benehmen schildern. Nackte Tatsachen.«
»Die nackten Tatsachen sind, wir können absolut nichts machen.« Sie zögerte. »Hm, es gibt aber einen Trick, wie wir alle dazu kriegen, ihre Spinde zu öffnen. Nicht, dass in dem Spind mit den toten Ameisen Gift ist. Das wäre ganz schön dämlich, oder? Aber wer weiß, was in diesen Dingern verstaut ist.«
»Haben die Lehrer auch Spinde?«, fragte Pewter.
»Klar.«
»Wie kann man die Lehrerspinde von denen der Kinder unterscheiden?«
»Weiß ich nicht. Wir sind auf der Mädchenseite. Vielleicht gibt es für die Lehrer einen kleinen Extraraum, der uns
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