Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
Falcon durch die Autowaschanlage zu fahren. Pewter, die der bloße Gedanke daran hysterisch machte, versteckte sich unterm Sitz. Harry berichtete Miranda von ihrem Gespräch mit der streitlustigen April.
Als sie von der Route 29 rechts abbogen und an der Texaco-Tankstelle vorbeifuhren, merkte sich Harry die Entfernung zwischen den Tanksäulen und dem Portal der Waschstraße. Es war ein Katzensprung, höchstens fünfzig Meter. Das Gebäude der Texaco-Tankstelle versperrte den Blick auf die Waschanlage.
»Langsam fahren.«
»Mach ich.« Miranda überblickte die Anlage, dann kam sie vor dem Portal zum Stehen.
Jimbo Anson eilte herbei, den Kragen seiner Jacke zum Schutz vor dem Wind hochgeschlagen. »Willkommen, Mrs Hogendobber. Wenn ich mich recht entsinne, sind Sie noch nie hier gewesen.«
»Nein. Ich wasche den Wagen mit der Hand. Er ist so klein, dass ich es leicht bewältigen kann, aber Harry möchte, dass ich mit der Zeit gehe.« Sie lächelte, als Harry sich über sie hinüberbeugte und den Preis für das volle Programm entrichtete.
»Fahren Sie ein Stück vor … so ist es gut.« Er sah zu, wie Mirandas linkes Rad auf die Schleppspur fuhr. »Schalten Sie in den Leerlauf, und das Radio muss aus sein.« Jimbo drückte den großen Knopf, der an einem dicken Stromkabel hing, und das Auto rollte in den Sprühnebel.
Ein Summer ertönte, das gelbe Neonlicht blitzte, und Miranda rief aus: »Hat man so was schon gesehen?«
Harry merkte sich genau, wie lange der gesamte Vorgang dauerte, und auch, wie die Apparaturen von der Seite hervorschwenkten oder sich von oben herabsenkten. Der letzte Ruck der Schleppkette gebot ihnen, den Wagen anzulassen. Harry murmelte: »Unmöglich.«
»Was ist unmöglich?«
»Ich hatte gedacht, der Mörder ist vielleicht in die Waschanlage gekommen, hat Roscoe den vergifteten Bonbon gegeben und ist rausgerannt. Ich weiß, es ist verrückt, aber der Anblick von jemandem, der klatschnass in der Waschanlage steht, jemand, den er kennt, hätte ihn bestimmt veranlasst, das Fenster runterzukurbeln oder die Tür zu öffnen, sofern sich das machen ließ. War nur so ein Gedanke. Wenn man von hier zur Texaco-Tankstelle laufen würde, wozu man keine Minute braucht, könnte einen niemand sehen, vorausgesetzt, man duckt sich in der Ausfahrt der Waschstraße. Aber es ist unmöglich. Und außerdem ist niemand gesehen worden, der von oben bis unten nass war.«
»›Da redete Kain mit seinem Bruder Abel. Und es begab sich, da sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir von der Erde.‹« Mrs Hogendobber zitierte aus dem 1. Buch Mose. »Der erste Mord aller Zeiten. Kain ist nicht ungestraft davongekommen. Dieser Mörder wird auch nicht davonkommen.«
»Rick Shaw macht Überstunden, um Kendrick beide Morde nachzuweisen. Cynthia rief mich gestern Abend an. Sie sagt, es ist wie die Quadratur des Kreises. Es funktioniert nicht, und Rick rauft sich die Haare aus.«
»Das kann er sich kaum leisten.« Mrs Hogendobber bog in südlicher Richtung in die Route 29 ein.
»Ich komme immer wieder auf Feigheit zurück. Gift ist des Feiglings Werkzeug.«
»Wer McKinchie umgebracht hat, war kein Feigling. Ein verwegener Durchstoß mit einem Schwert zeugt von Fantasie.«
»Aber McKinchie war unbewaffnet«, sagte Harry. »Der Mörder ist hingesprungen und hat ihn erstochen. Fantasie, ja, aber auch Feigheit. Es ist eine Sache, einen Mord zu planen und auszuführen, eine Art kalte Virtuosität, wenn Sie so wollen. Etwas anderes ist es, sich an jemanden heranzuschleichen.«
»Es ist möglich, dass diese Morde nichts miteinander zu tun haben«, sagte Miranda zögernd. »Aber ich glaube es nicht; das ist es, was mich beunruhigt.« Sie bremste vor einer roten Ampel.
Sie hätte nicht beunruhigter sein können als Father Michael, der vom Gemurmel der bekannten gedämpften Stimme, die sich Mühe gab, sich zu verstellen, aus seinem Nickerchen im Beichtstuhl geweckt wurde.
»Vater, ich habe gesündigt.«
»Fahre fort, mein Kind.«
»Ich habe mehr als einmal getötet. Ich liebe es zu töten, Vater. Es verleiht mir ein Gefühl der Macht.«
Ein fester Klumpen setzte sich in Father Michaels dünnem Hals fest. »Alle Macht gehört Gott, mein Kind.« Seine Stimme wurde kräftiger.
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