Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Sie redeten, und Lester überzeugte Big Earl wieder ins All-You-Can-Eat zurückzukehren, während er sie suchte. Nachdem er in Richtung Wall Street verwiesen worden war, machte Lester sich auf die Suche.
Barbara Jean sagte den ganzen Rückweg über kein Wort, und Lester stellte keine Fragen. Als sie vor Big Earls und Miss Thelmas Haus hielten, verhielt sich Lester wie der Gentleman, der er nun mal war. Er hielt ihr die Beifahrertür auf und geleitete sie zum Eingang. Als sie die Verandatreppen erreicht hatten, fragte Lester: »Hast du über das nachgedacht, worüber wir geredet haben?«
Da fing sie an zu lachen. Sie lachte so sehr über den guten Witz, den sich Gott mit ihr erlaubt hatte, dass sie sich an dem schmiedeeisernen Geländer festhalten musste, damit sie nicht umfiel. Tränen liefen Barbara Jean über die Wangen, und sie bekam kaum noch Luft. Als sie wieder reden konnte, sagte sie: »Es tut mir leid. Aber du wirst es genauso lustig finden, wenn ich es dir erzähle … Lester, ich bin schwanger. Ich bekomme ein Kind von Chick Carlson. Und ich habe den Abend damit verbracht vor seinem durchgeknallten Bruder wegzulaufen und mich hinter Bäumen zu verstecken, damit er mich nicht erwischt. Also kannst du deinen Antrag zurücknehmen und dich glücklich schätzen.« Barbara Jean ging die drei Stufen zur Veranda hoch und drehte sich noch einmal um, in der Erwartung, Lester zurück zu seinem Cadillac eilen zu sehen.
Aber Lester lief nicht weg. Er schaute sie an und fragte: »Was willst du jetzt machen?«
»Was ich will, spielt keine Rolle. Chick ist weg. Jetzt muss ich Pläne für mich und mein Kind machen. Meine Mutter hat es alleine geschafft. Ich geh mal davon aus, dass ich es nicht schlechter machen kann als sie.«
»Ich habe es wirklich so gemeint, als ich gesagt habe, dass ich dich heiraten will, Barbara Jean«, sagte Lester. »Ich habe dich geliebt, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, und daran hat sich nichts geändert. Wir können morgen heiraten, wenn du willst.«
Sie wartete, dass Lester aufging, was er soeben gesagt hatte, und wieder zur Vernunft käme. Aber er stand einfach bloß da. Ihr fiel nur eine Sache ein, die sie sagen konnte. Sie stellte die Frage, von der ihre Mutter gewollt hätte, dass sie sie stellt. »Lester, kannst du mir in die Augen schauen und schwören, dass du für immer mein Mann sein und dass du dich mir und meinem Kind gegenüber immer anständig verhalten wirst?«
Lester kam auf die Veranda hinauf, stellte sich neben sie und legte seine warme Hand auf ihren Bauch. »Ich schwöre es«, sagte er.
Also heiratete Barbara Jean Lester, den Mann, der die richtige Antwort auf die Frage ihrer Mutter hatte.
28
Jedes Frühjahr veranstaltete die Calvary Baptist ein Erweckungsfest in einem Zelt. Es war eine Tradition, die Richmonds Vater während seiner Zeit als Pastor der Kirche ins Leben gerufen hatte, und sie wurde auch nach ihm weitergeführt. In den Baptistenkreisen des Mittleren Westens war das Erweckungsfest bekannt. Es zog jedes Jahr Gläubige in großer Zahl an und bescherte auch dem Kirchensäckel in der langen Dürreperiode zwischen Ostern und Weihnachten einen Geldsegen. Clarice konnte sich nicht erinnern, dass sie ein Jahr ihres Lebens nicht daran teilgenommen hatte.
Das Erweckungsfest begann an einem Freitag mit der Errichtung des Zelts. Eine provisorische Bühne wurde für den Chor aufgebaut. Hunderte von Klappstühlen – uralte, abgesplitterte, quälend unbequeme Dinger, von denen Clarice sicher war, dass sie dazu bestimmt waren, die Gemeinde an die Leiden Christi zu erinnern, wurden herbeigebracht. Dann gab es einen Gottesdienst, der allen die Kraft geben sollte für die sechsunddreißig Stunden sturen Betens, Singens und Seelenrettens, die darauf folgen würden. Das Erweckungsfest gipfelte schließlich in einer kilometerlangen Prozession von dem Zeltplatz am Rande der Stadt zurück zur Calvary Baptist.
Richmonds Stellung als Diakon der Kirche und als Sohn des Festbegründers garantierte ihm und Clarice immer gute Plätze. Am Eröffnungsabend in diesem Jahr saßen sie in der ersten Reihe. Richmond hatte an diesem Tag wegen Clarices hartnäckiger Weigerung, wieder nach Hause zu kommen, sehr schlechte Laune, also saß Clarice zwischen Odette und Barbara Jean und überließ James die Ehre, neben Richmond zu sitzen. Dieses Arrangement führte dazu, dass Richmonds Laune noch schlimmer wurde. Er hockte mit vorgeschobener Unterlippe da und blickte nur zu Clarice
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