Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
ersten Reihe drehten sich um, um zu schauen, was da vor sich ging, aber es waren bereits zu viele Leute aufgesprungen, um zu glotzen, als dass sie bis ganz nach hinten hätten sehen können. Im Zelt wurde es leiser, und eine Woge leisen Geflüsters breitete sich von hinten nach vorne aus, als die Frau durch den Mittelgang auf Reverend Peterson zuging.
Sie war jung, Clarice schätzte sie auf fünfundzwanzig. Das der Schwerkraft trotzende Dekolleté der Frau waberte über einem knappen neongrünen Bustier, das so weit ausgeschnitten war, dass es eigentlich verboten gehörte. Unterhalb ihres entblößten Nabels trug sie eine eng sitzende zinnoberrote Hotpants, die so gewagt war, dass Clarice dachte, die Frau hätte sie von einer abgemagerten Elfjährigen geliehen. Bustier und Hotpants waren beide aus glänzendem, feucht schimmerndem Latex. Bei jedem Schritt verursachte die Bewegung von Latex, das sich an Latex reibt, ein hohes, quietschendes Geräusch. Das Haar der jungen Frau war aus dem Gesicht frisiert zu einem Wasserfall aus glänzenden, schwarzen Ringellöckchen, der sich bis über die Hälfte ihres Rückens ergoss.
Clarice beugte sich zu Barbara Jean hinüber und flüsterte: »Extensions.«
Barbara Jean erwiderte: »Implantate.«
Die Frau wankte und stolperte auf die Bühne und Reverend Peterson zu. Seine buschigen, silbernen Augenbrauen wanderten bei jedem Schritt, den sie in seine Richtung machte, ein bisschen höher zu seinem fliehenden Haaransatz hinauf. Clarice war sich nicht sicher, ob das Torkeln der Frau davon kam, dass sie betrunken war, oder weil sie nur noch einen Schuh trug und ihr eine dicke Schlammschicht bis hoch zu den Fußgelenken anhaftete.
Als sie das Rednerpult erreicht hatte, schnappte sich die Frau das Mikrofon aus der Hand des völlig verdutzten Reverend Peterson. »Mir ist gerade ein Wunder widerfahren, und ich muss Zeugnis ablegen.« Sie schrie ihre Worte ins Mikrofon, und die akustische Rückkoppelung der Tonanlage ließ alle die Hände auf die Ohren schlagen. »Gerade vorhin, nach meiner Schicht im Pinken Pantoffel, hatte ich noch eine private Darbietung draußen am Parkplatz auf dem Rücksitz eines Chevy Suburban, als ich plötzlich eine Stimme hörte. Und diese Stimme sagte glockenklar zu mir: ›Du bist ein Kind Gottes.‹ Zuerst habe ich sie einfach ignoriert, weil ich dachte, es sei bloß mein Kunde. Er ist einer meiner Stammgäste, und er redet immer so – großer Gott hier, Grundgütiger da, du lieber Himmel dies und das.«
Reverend Petersons Gesichtsausdruck ließ langsam Panik erkennen, und er griff nach dem Mikrofon. Aber die Stripperin war schneller. Sie machte einen Satz von ihm weg und fuhr mit ihrer Zeugnisabgabe fort.
»Die Stimme sagte: ›Du bist ein Kind Gottes. Halte inne in deinem Tun.‹ Ich dachte noch immer, es sei mein Kunde, also kam ich hoch und sagte: ›Gut. Ich muss nicht weitermachen. Gib mir einfach mein verdammtes Geld, und ich bin weg.‹ Aber dann hörte ich die Stimme wieder. Diesmal sagte sie: ›Dein sündiger Lebenswandel wird das Tosen des Höllenfeuers über dich bringen. Wende dich zum Herrn, und du wirst gerettet werden.‹ Da wusste ich, dass es ganz sicher nicht mein Kunde war. Es war ein Engel, den der Himmel geschickt hat, um mir zu sagen, ich soll mein Leben ändern. Also bin ich raus aus dem Chevy und folgte dem Licht, das ich in der Ferne erkannte. Ich überquerte den Highway siebenunddreißig und ging durch ein kleines Wäldchen; hab sogar einen Schuh verloren, als ich über ein matschiges Feld lief. Aber ich ging immer weiter, bis ich zu diesem Zelt hier kam. Jetzt bin ich hier und bereit, meinen sündigen Lebenswandel aufzugeben, wie es mir die Stimme des Engels befohlen hat. Wenn das kein Wunder ist, dann weiß ich auch nicht!«
Die Menge brach in Lobpreisungen über das Wunder der Stripperin aus. Die Leute riefen: »Amen!« Und der Chor fing an, doppelt so engagiert zu singen wie zuvor.
Beflügelt durch die Reaktion ihres Publikums fuhr die Stripperin mit ihrem Bericht fort. »In der Sekunde, als ich dieses Zelt betrat, veränderte sich etwas tief in meinem Herzen. Plötzlich musste ich an all das Gute denken, das Gott mir bereits beschert hat. Ich kam auf den Gedanken, dass Er mir vielleicht aus einem besonderen Grund bei all den gefahrvollen, sündigen Dingen beigestanden hat. Und glaubt mir, da draußen gibt es jede Menge beängstigende Dinge! Verdammt, man braucht bloß eine Nacht rausgehen und arbeiten und schon kann
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