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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Kelsey Moore
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hinüber, um sie mürrisch anzustarren.
    Clarice bekam noch immer ziemlich viel von Richmond zu sehen, jetzt da sie ausgezogen war. Er kam ein paar Mal pro Woche bei ihr in Leaning Tree vorbei. »Wo ist meine orange Krawatte?« »Wie funktioniert der Timer am Herd?« »Wohin bringe ich die Sachen zur chemischen Reinigung?« Er schien immer irgendetwas zu brauchen.
    Wenn er sich ordentlich benahm – also nicht zu weinerlich oder streitlustig war –, bat ihn Clarice auch mal herein. Richmond war ein guter Gesellschafter. Und sie liebte ihn. Sie hatte nie einen anderen Mann als Richmond geliebt. Na ja, da gab es außerdem noch Beethoven, aber der zählte nicht wirklich. Das Problem war nur, dass Richmond, sobald Clarice anfing, an seine gute Seiten zu denken – wie charmant er sein konnte, wie er sie zum Lachen brachte –, in den Verführungsmodus schaltete. Sein Schlafzimmerblick flackerte auf, und seine Stimme nahm einen besonderen Ton an, so dass sie plötzlich meinte, den Duft von Brandy zu riechen und die Wärme eines knisternden Kaminfeuers zu spüren.
    Aber immer wenn Clarice anfing, darüber nachzudenken, ob sie Richmond über Nacht bei ihr bleiben lassen sollte – ein angenehmer Gedanke –, kam ihr ein Bild in den Sinn, das sie veranlasste, ihn doch wieder vor die Tür zu setzen. Es war das Bild von James, der vergeblich versuchte, Odettes Haar zu frisieren, das sich dann in ihrem Kopf breit machte. Dieses Bild erlaubte es ihr einfach nicht, wieder in das Leben zurückzukehren, das sie so viele Jahre lang geführt hatte.
    Es war beinahe Mitternacht an diesem ersten Abend des Erweckungsfestes, und Reverend Peterson war gerade dabei, seine Predigt abzuschließen. Reverend Peterson sprach am Eröffnungsabend immer als Erster, bevor er das Podium den Gastpredigern überließ. Seine Predigt an diesem Abend war fesselnd. Er erzählte die furchterregende Geschichte der Sintflut aus der Perspektive eines von Noahs ungläubigen Nachbarn. Die Predigt erreichte ihren Höhepunkt mit einer anschaulichen Beschreibung des todgeweihten Nachbarn, der, knietief im wallenden, alles vernichtenden Wasser watend, an die Seite der Arche hämmerte und Noah anflehte, ihn einzulassen. Reverend Peterson verlieh der Geschichte noch mehr Farbe, indem er das Krächzen, Wiehern und Muhen der Tiere auf der Arche nachahmte. Natürlich konnte Noah nichts tun, als dem entsetzten Sünder zum Abschied noch einmal zuzuwinken, als er mit den Rechtschaffenen und den lärmenden Tieren davonsegelte.
    Die Predigt von der Arche Noah war ganz typisch für die Calvary Baptist, denn sie war keine Kirche, die Grauzonen kannte. Jeden Sonntag saßen die Kirchenmitglieder da und lauschten ihrem Pastor, der ihnen die jüngste Botschaft eines zornigen Gottes überbrachte. Sie verließen die heilige Stätte mit der Gewissheit, dass allein die Calvary Baptist und Reverend Peterson zwischen ihnen und dem ewigen Höllenfeuer standen. Die Gemeindemitglieder rechneten fest damit, dass sie wie Noah allen anderen aus Plainview, die nicht der Calvary-Gemeinde angehörten, zum Abschied zuwinken würden, wenn Jesus sie eines Tages in sein Reich schippern würde.
    Als Reverend Peterson seine Rede beendete, war die Menge in Aufruhr. Man jubelte und rief »Amen! Amen!«. Die Kirchenkrankenschwestern in ihren gestärkten weißen Uniformen und weißen Handschuhen sausten durchs Zelt, um die Damen zu versorgen, die unter dem Eindruck des Heiligen Geists in Trance verfallen waren.
    Trotz der mitreißenden Predigt, die Reverend Peterson an diesem Abend lieferte, ertappte sich Clarice überrascht bei dem Gedanken, dass es vielleicht an der Zeit sei, all diese pessimistischen Schilderungen und diesen Zorn hinter sich zu lassen. Als sie dort saß und dem wütendsten Chor dabei zuhörte, wie er »Es wird Regen geben« fauchte, dachte sie, sie sollte vielleicht ihren Horizont erweitern und einmal etwas anderes versuchen.
    Nachdem Reverend Peterson also seine unheilverkündende Predigt beendet hatte, rief er die reuelosen Sünder in der Menge auf, vorzutreten und den Segen des Herrn zu empfangen, bevor es zu spät sei. Er tigerte vor dem klagenden Chor auf und ab und unkte: »Beim nächsten Mal wird es kein Wasser sein, sondern Feuer!« Als er zu seinem Rednerpult zurückkehrte, um den nächsten Redner anzukündigen, kam im hinteren Teil des Zelts Unruhe auf.
    Eine Frauenstimme rief: »Ich möchte Zeugnis ablegen! Lasst mich Zeugnis ablegen!«
    Clarice und alle anderen in der

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