Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
damals«, sagte er. »Ich hab dir zugehört. Jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme, sitze ich eine Weile draußen auf der Veranda bevor ich anklopfe. Manchmal auch, nachdem ich mich verabschiedet habe, und dann hör ich dir zu. Du spielst besser als je zuvor, Liebling, wirklich.«
Im letzten Teil des Briefes erörterte Wendell Albertson mögliche Termine, an denen Clarice zu ihm nach New York kommen und vorspielen könnte. Angenommen, das Vorspiel liefe gut, würden sie dann einen Termin für neue Aufnahmen vereinbaren und seine Idee einer Marketingstrategie für sie als »wiederentdecktes Talent« besprechen.
Sie legte den Briefbogen auf den Couchtisch vor sich und sagte: »Ich weiß wirklich nicht, ob ich dich küssen oder dir den Hintern versohlen soll.«
Jetzt war für Richmond der Moment gekommen, sich vorzuwagen, also sagte er: »Du könntest doch beides machen«, oder etwas in der Art. Weil er es nicht tat, beugte sie sich zu ihm und küsste ihn auf den Mund. Dann gab sie ihm noch einen Kuss, denn, auch wenn das, was er da ausgeheckt hatte, verrückt war, so war es doch auch das Netteste, was er je für sie getan hatte. Sie nahm den Brief wieder in die Hand und las ihn noch einmal, nur um sicherzugehen, dass sie sich das alles nicht bloß eingebildet hatte.
»Also, gefällt dir dein Geburtstagsgeschenk?«, fragte er.
»Weißt du, ich denke, es gefällt mir. Wahrscheinlich fliegt es mir irgendwann noch um die Ohren. Aber es gefällt mir. Danke, Richmond.«
»Gern geschehen. Ich bin froh, dass ich dich noch immer glücklich machen kann.«
Clarice küsste ihn noch einmal, diesmal auf die Wange. Dann dankte sie ihm erneut.
Richmond sagte: »Gut, ich sollte lieber los, solange ich im Vorteil bin.« Er rutschte auf der Couch nach vorne, um sich aus den durchgesessenen Polstern zu wuchten. Er stand auf und ächzte, als er seinen schlimmen Knöchel belastete.
Clarice ging ein paar Schritte mit ihm in Richtung Tür, fasste ihn dann aber am Arm und hielt ihn zurück. »Du musst nicht gehen. Bleib zum Essen. Ich mache eine Frittata.«
»Das klingt gut. Weißt du, ich liebe Fri-tta-ta.« Er sprach es »Frie-ta-tah« aus, zog es lang, so dass es sich albern und anzüglich zugleich anhörte. Sie knuffte seinen Arm, und er begleitete sie in die Küche.
Nach dem Essen saßen sie an der Küchentheke und redeten. Clarice schilderte ihm ihren Nachmittag bei Veronica. Er brachte sie auf den neuesten Stand was das Footballteam betraf und wie ihre Aussichten für die kommende Saison standen. Sie erzählte ihm, dass sich Odettes Zustand verschlechtert habe und dass ihr das Angst mache. Er rühmte sich, dass er seine Diabetesmedizin nun beinahe jeden Tag pünktlich einnahm und langsam zu einem Meisterbügler wurde. Sie erzählte, dass sie nun die Unitarierkirche besuche und dass sie das Gefühl habe, es sei genau das Richtige für sie. Clarice berichtete Richmond sogar davon, wie sie seine Freundin Cherokee mit Clifton Abrams in der Gartenlaube erwischt hatte.
Richmond lachte, bis ihm die Tränen kamen, als sie beschrieb, wie Clifton nackt herumhopste, während er versuchte, wieder in seine Unterhose zu schlüpfen. Aber er verbat sich, dass sie Cherokee seine Freundin nannte, und bestand darauf, dass er alle Frauengeschichten aufgegeben hatte, um ein besserer Mann zu werden. Das schließe auch, betonte er, die Mädchen aus dem Pinken Pantoffel ein. Er sagte, dass sein letzter Besuch dort aus rein theologischen Gründen erfolgt sei.
Als sie lachte, hob er die Hand, als würde er sein Pfadfinderehrenwort geben. »Nein, ehrlich. Tammi, das Mädchen, das beim letzten Erweckungsfest auftauchte, tanzt dort jetzt montags von Bibelthemen inspiriert an der Stange. Letzte Woche tanzte sie Evas Vertreibung aus dem Paradies und spendete jeden Cent, den sie machte, für die Renovierung des Kirchendachs. Was für ein Christ wäre ich, wenn ich da nicht hinginge und eine frisch bekehrte junge Frau nicht dabei unterstützen würde, wenn sie Gottes Wort predigt?« Er schwor, dass er den Club in der Sekunde, als die Tänzerin und ihre Python von der Bühne gegangen war, allein verlassen hatte. »Du hast mir doch gesagt, ich soll mich weiterentwickeln«, sagte er. »Erinnerst du dich noch?«
»Ja, ich erinnere mich. Aber bitte ändere nicht alles an dir. Du hast noch immer deine guten Seiten.« Sie fragte sich, ob es bloß die Macht der Gewohnheit war, die sie mit ihm flirten ließ, oder weil sie spürte, dass sich tatsächlich etwas an
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