Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
ankamen.
Veronica rief: »Gut, dass Sie da sind, Miss Minnie! Ich hatte gehofft, Sie haben heute noch ein paar Minuten Zeit für mich.«
Minnie antwortete Veronica nicht. Sie wandte sich an uns, die wir am Tisch saßen, und sagte: »Ich nehme an, ihr habt alle schon gehört, dass meine jüngste Vorhersage eingetreten ist. Carl der Großartige hat die Tore zur Welt der Schatten für mich geöffnet, jetzt da er weiß, dass ich bald zu ihm kommen werde.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte den Blick zum Himmel, so wie sie es jetzt immer tat, wenn sie über ihren herannahenden Tod sprach.
Clarice konnte es sich nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen. Minnie erwischte sie dabei, und einen Moment sah sie so aus, als würde sie Clarice gleich schlagen. Aber dann winkte ihr eine Frau vom Kundenstuhl an ihrem Tisch aus zu und rief ihren Namen.
Würdevoll sagte Minnie: »Veronica, meine Liebe, ich muss eben diese eine Sitzung abhalten, aber gleich danach helfe ich Ihnen gern.« Sie machte zwei Schritte in Richtung ihres Tisches, drehte sich dann aber noch einmal um, wobei sie dafür sorgte, dass ihr Umhang dramatisch um sie herumwirbelte. Sie sagte: »Wissen Sie, Clarice, ich hatte letzte Nacht eine Vision, und ich bin bereit, Ihnen davon zu berichten. Ich habe Richmond gesehen, der Sie an einem nebligen Strand umarmt, und ich war sicher, dass Ihnen in der Zukunft eine romantische Reise bevorsteht. Das Komische daran war bloß, als der Nebel sich lichtete, sah ich, dass der Mann in der Vision zwar Richmond war, aber die Frau nicht Sie waren. Ist das nicht seltsam?«
Sie stand grinsend da, und Veronica und sie warteten beide gespannt, wie Clarice darauf reagieren würde. Als Clarice weder die Tränen kamen und sie Minnie auch nicht den Gefallen tat, einen wütenden Blick in Richmonds Richtung zu werfen, verzog die Wahrsagerin verärgert den Mund und marschierte quer durchs Restaurant zu ihrer Kundin hinüber. Veronica hob ihren rechten Arm und schnippte mehrmals mit den Fingern. Als sie Erma Maes Aufmerksamkeit erhascht hatte, formte sie lautlos mit den Lippen: »Eistee.« Und während sie auf dem freien Stuhl am Tisch Platz nahm, brummte sie leise: »Und brauch nicht wieder ein Jahr, bis du ihn bringst.« Dann wandte sie sich an Clarice und sagte: »Ich bin nicht bloß wegen Minnie hier. Ich wollte dich bitten, mir mit der Hochzeit zu helfen, Clarice. Du hast die Hochzeit deiner Tochter so toll hinbekommen, dass ich sofort an dich denken musste, als Sharon sich verlobt hat. Das erste, was ich zu Sharon sagte, war: ›Rufen wir Clarice an und lassen sie deine Hochzeit exakt genauso machen wie Carolyns‹ – abgesehen von dem knappen Budget natürlich.«
Clarice atmete langsam aus, lächelte und sagte: »Du bist ein Schatz, dass du an mich denkst, Veronica. Aber ich bin sicher, du und Sharon, ihr könnt auch ohne mich eine wundervolle Hochzeit planen.«
Odette, die schon den ganzen Nachmittag lang ungewöhnlich schweigsam gewesen war, meldete sich zu Wort und sagte: »Ja, Veronica, niemand von uns wird je dieses Osterschauspiel vergessen, das du drüben in der First Baptist organisiert hast. Es war einfach spektakulär.« Barbara Jean senkte den Kopf und überspielte ihr Lachen, indem sie so tat, als würde sie husten. Und Clarice nahm sich vor, Odette ein besonders schönes Weihnachtsgeschenk zu besorgen, dafür, dass sie in diesem Moment Veronicas Osterspiel erwähnt hatte.
Einige Jahre zuvor hatte Veronica die Ängste des Kirchenvorstands ausgenutzt, indem sie unkte, deren Osterspiel könnte von der weißen Gemeinde der Lutheranerkirche in Plainview in den Schatten gestellt werden. Die Lutheraner hatten ihrer Osterzeremonie neuerdings mehr Glanz verpasst, indem sie echte Lämmer einsetzten und eine Lichterprozession abhielten. Sie versprach den Kirchenvorständen, dass sie, wenn sie ihr die Organisation überließen, für eine so opulente Veranstaltung sorgen würde, dass die völlig demoralisierten Lutheraner beschämt die Köpfe hängen lassen würden.
Von dem Moment an, als Veronicas Töchter die Vorstellung mit einem Ausdruckstanz eröffneten, war die Sache ein Desaster.
Veronicas ältere Töchter hatten genauso wenig Koordination wie sie Anmut besaßen. Und die arme Sharon, die bekanntlich nicht einmal eine zwei Liter Pepsiflasche an die Lippen heben konnte, ohne aus der Puste zu geraten, bekam Herzflimmern und musste sich während der Nummer schwer atmend hinsetzen und ausruhen.
Der
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