Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
zog eine Schnute und fing an, vor dem Wagen ihrer Mutter auf der Stelle zu joggen. Veronica hielt beim Anblick ihrer keuchenden Tochter zustimmend den Daumen hoch und kam dann hinüber zum All-You-Can-Eat .
Odette stöhnte: »Grundgütiger, nicht die. Deine Cousine ist wirklich die letzte, mit der ich heute zu tun haben will.«
Odette liebäugelte schon seit 1965 damit, Veronica zu erwürgen. Aber Clarice zuliebe widerstand sie dem Impuls ein ums andere Mal. Clarice mochte Veronica auch nicht besonders, aber sie waren vom selben Blut. Also hatte sie sie am Hals, ungeachtet der Tatsache, dass ihre Cousine ihr bereits, so lange sie zurückdenken konnte, furchtbar auf die Nerven fiel. Und dieser Tage war sie schlimmer als je zuvor, das perfekte Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Haufen Geld in ein tobendes Feuer der Dummheit geworfen wird.
Veronicas Familie war die letzte der Alteingesessenen von Leaning Tree gewesen, die ihren Grund an die Bauunternehmer verkauft hatte, und das hatte sich voll ausgezahlt. Wenn sie die Chance bekam, erläuterte Veronica einem stundenlang, welch ein Visionär ihr Vater gewesen war, weil er so lange dort ausgeharrt hatte. Die Wahrheit war, Veronicas Vater hatte seine Frau so sehr gehasst, dass er lieber weiter arm blieb, als seinen Grund zu verkaufen und zuzusehen, wie sie ein komfortables Leben führte. Wie Clarices Mutter und viele gläubige Frauen ihrer Generation war auch Clarices Tante Glory überzeugt gewesen, dass eine Scheidung von ihrem Mann und die rechtmäßige Inanspruchnahme der Hälfte seines Besitzes sie direkt in die Hölle befördern würde. Also wusste ihr Mann, dass sie in der Falle saß. Sein Plan war es gewesen, sie noch jahrzehntelang mit seiner Anwesenheit zu plagen. Nicht seinem Plan entsprach dabei jedoch der Herzinfarkt, der ihn inmitten einer ihrer nächtlichen Auseinandersetzungen dahinraffte. Glory ließ die Beerdigungszeremonie für ihren Ehemann sausen und traf sich stattdessen lieber mit einem Immobilienmakler. Eine Woche später zog sie zu ihrer Schwester in eine schicke Seniorenresidenz in Arkansas.
Seither lebten Glory, Veronica und Veronicas Familie von dem großen Batzen Geld, den sie für das Grundstück bekommen hatten. Und Clarice hoffte, dass Veronica dem Herrn jeden Abend dafür dankte. Denn sie war mit einem grenzdebilen Mann verheiratet, der mit dem lächerlichen Gehalt, das er bekam, kein Glas Goldfische, geschweige denn eine ganze Familie ernähren könnte. Doch wie die meisten armen Leute aus Leaning Tree, die durch den Verkauf ihres Landes zum ersten Mal im Leben zu richtigem Geld kamen, verschleuderte auch Veronicas Sippe von Schwachköpfen ihr Vermögen so schnell es nur ging. Clarice bezweifelte nicht, dass Veronica schon in naher Zukunft bei ihr auf der Matte stehen würde, um sie anzupumpen.
Veronica hatte einen unverwechselbaren Gang, der sich durch stocksteife Beine und abgehackte Bewegungen auszeichnete. Sie machte schnelle, kurze Schritte – irgendwo zwischen Rennen und Gehen. Der bloße Anblick ihrer Cousine, die auf den Fenstertisch zugewetzt kam, weckte in Clarice das unstillbare Verlangen, ihr mit der flachen Hand eine zu kleben. Aber anstatt sie zu ohrfeigen, sagte Clarice: »Veronica, Liebste, was für eine schöne Überraschung!« Dann warfen sich die beiden Kussgeräusche zu.
Clarice machte sich darauf gefasst, dass ihre Cousine mit ihrem neuen Auto prahlen würde, doch Veronica hatte anderes im Sinn. Ohne ein Wort der Begrüßung an irgendwen – das war wieder typisch für sie – fing sie an zu palavern.
»Ich habe mir gedacht, dass ich euch hier finde. Ich habe wundervolle Neuigkeiten! Ratet mal, was.« Clarice wollte gerade sagen, dass sie keinen blassen Schimmer hätte, was für Neuigkeiten ihre Cousine wohl erzählen wolle, da platzte Veronica auch schon heraus: »Sharon wird heiraten!«
»Glückwunsch«, sagte Clarice. »Ich wusste nicht einmal, dass sie einen Freund hat.«
»Ach, es ist ja auch eine ganz stürmische Liebesgeschichte. Sie hat ihn erst vor vier Wochen kennengelernt, und die beiden haben sich sofort ganz super verstanden. Und das Erstaunliche ist, es war alles Vorsehung! Letzten Monat habe ich mir von Miss Minnie die Karten legen lassen, und sie sagte mir, dass Sharon noch in derselben Woche einen Mann kennenlernen und sich verlieben würde. Und es kam, wie es kommen musste, am Sonntag darauf hat sie in der Kirche den Mann ihrer Träume kennengelernt.« Sie sah Clarice mit gerümpfter
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