Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Roosevelt und ich eine Ansprache über das Non-Hodgkin-Lymphom über uns ergehen lassen. Aber dieses Mal heulte wenigstens niemand.
Mama meinte, ich solle mit James reden, sobald ich nach Hause käme, aber ich ignorierte ihren Rat einfach. Ich wollte noch immer an meiner Fantasievorstellung festhalten, dass ich die Behandlung womöglich hinter mich bringen könnte, ohne ihm jemals davon erzählen zu müssen. Hatte Alex Soo nicht gesagt, dass manche Patienten die Chemo so gut vertrügen wie ein Aspirin? Na ja, vielleicht hatte er es nicht ganz so gesagt, aber ich beschloss, es zu glauben. Ich fasste den Entschluss, einfach auf den Teil von James’ Wesen zu vertrauen, der es nie bemerkte, wenn ich neue Anziehsachen trug oder wenn ich ein paar Kilos angesetzt oder verloren hatte. Okay, bisher hatte ich nur Kilos angesetzt , aber andersherum wäre es vermutlich genauso. Ich beschloss, auf die gleiche Unbedarftheit zu bauen, wegen der ich James einst wachrütteln musste, damit er merkte, dass er nun mein Freund war.
Ich schlief lang an diesem Morgen. Wie das Leben so spielt, hatten die Hitzewallungen, die mich monatelang nachts wach gehalten hatten, einen Tag nachdem Alex Soo mir gesagt hatte, dass ich vielleicht sterben würde, aufgehört. Als ich in die Küche ging, war die erste Überraschung, die mich dort erwartete, der Duft von Kaffee. Ich hatte bereits Jahrzehnte zuvor akzeptiert, dass James sich nicht auf die Kunst des Kaffeekochens verstand. Jedes Mal, wenn er eine Kanne davon aufbrühte, kam entweder eine dicke, ungenießbare Brühe oder dünnes Pieselwasser dabei heraus, dazwischen gab es nichts. Also war es ihm eigentlich verboten, die Kaffeemaschine anzurühren.
Aber an jenem Morgen stand mitten auf dem Küchentisch auf einem Korkuntersetzer eine Glaskaraffe. Auch meine Tasse, ein weiß-brauner Murks aus Tonröllchen, den die kleinen Fingerchen meiner Enkelkinder gefertigt und mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatten, stand dort. Und an seinem üblichen Platz am Tisch, hinter einem Kaffeebecher, der meinem ganz ähnlich sah, hockte James, der an diesem Tag eigentlich hätte arbeiten sollen.
Er saß aufmerksam da, mit ganz geradem Rücken und hatte die Hände vor sich auf einem Weidenplatzset gefaltet. Er starrte mich einen Moment lang an und sagte dann: »Was ist los?«
Ich setzte bereits an, »nichts« zu sagen, aber er hob die Hand und hielt mich davon ab. Er fragte noch einmal, betonter diesmal: »Odette, was ist los?«
Ich log James nie an, zumindest nicht oft. Also schenkte ich mir eine Tasse blassbraunen Kaffee ein und setzte mich neben ihn. Ich atmete aus und fing an: »Du weißt doch, ich hatte diese Hitzewallungen. Sieht so aus, als wäre es mehr als bloß der Wechsel.«
Dann erzählte ich ihm alles, was mir die beiden Ärzte mitgeteilt hatten. James hörte mir zu, ohne ein Wort zu sagen. Das einzige Mal, dass er mich unterbrach, war, als er mit dem Stuhl vom Tisch wegrutschte und mit den Handflächen auf seine Oberschenkel klopfte, eine Geste, die am Anfang unserer Ehe bedeutet hatte, ich solle mich auf seinen Schoß setzen.
Ich lachte. »Ist ziemlich lange her, dass ich auf deinem Schoß gesessen habe, Liebling.« Ich fuhr mir mit der Hand über meinen runden Bauch und sagte: »Das könnte das Ende für diesen Stuhl bedeuten.«
Aber James lachte nicht über meinen kleinen Witz. Er klopfte sich erneut auf die Oberschenkel, und ich setzte mich auf seinen Schoß. Während ich redete, drückte er mich immer fester und fester an sich. Als ich mit dem Bericht über meine bevorstehende Behandlung fertig war, schmiegten wir unsere Gesichter aneinander, und ich spürte, wie mir Tränen die Wangen hinunterliefen.
Ich weinte zum ersten Mal, seit Dr. Soo mir eröffnet hatte, dass ich Krebs hatte. Ich weinte nicht um das Leben, das ich womöglich hinter mir lassen würde. Die Monate der Zwiesprache mit Mama hatten mich gelehrt, dass der Tod nicht unbedingt auch ein Verlassen sein musste. Ich weinte um James, dem ich wahrscheinlich das Herz brechen würde, um meinen schönen Mann mit der Narbe, der mich auch weiterhin festhielt, obwohl seine Beine unter meinem Gewicht bereits ganz taub geworden sein mussten. Meine Tränen liefen für diesen tapferen Mann, der es überraschenderweise hinbekam, nicht zu weinen, obwohl ich aufgrund der Jahrzehnte, die wir nun schon zusammen waren, wusste, dass er innerlich schreien musste. Ich weinte um James, der nie von mir erwartete, dass ich das furchtlose
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