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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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wurde.
    »
Dich
habe ich nicht gefragt!«, brüllte er.
    »Tut mir leid«, sagte Mum, die selbst nach diesem Schock noch klar denken konnte. Sie versuchte, ihn zu beschwichtigen, damit er nicht gänzlich die Fassung verlor und außer Kontrolle geriet.
    »Ich hatte einen Unfall in der Schule!«, schrie ich, um seine Aufmerksamkeit von Mum abzulenken. Er holte schon wieder aus. »Es ist bei einem Brand passiert! Das sind Narben! Ich bin vernarbt!«
    Er löste die Faust und ließ den Arm sinken.
    »Yeah, sieht richtig beschissen aus.«
    »Ja, ich weiß«, sagte ich. Er sollte weiterreden, seine Aufmerksamkeit auf mich konzentrieren.
    »Deine alte Mum ist hübscher als du.« Er bekam Schluckauf und stieß einen weiteren sauren Rülpser hervor.
    Dann griff er nach der roten Tasche und wankte trunken davon. Er kam an dem Jagdmesser vorbei, ohne es eines Blickes zu würdigen, und verschwand in der Küche.
    Lange Zeit hörten wir nichts.
    »Ich glaube, er ist weg«, flüsterte Mum.
    Wie aufs Stichwort kehrte er ins Wohnzimmer zurück, in der Hand ein großes Geschenkpaket. Es war mit einer leuchtend roten Schleife verziert, und obendrauf lag ein rosa Umschlag, auf den Mum in ihrer schönsten Handschrift meinen Namen geschrieben hatte.
    »Was ist
das denn

    »Das Geburtstagsgeschenk für meine Tochter«, erwiderte Mum mit kalter Stimme.
    »Was ist drin?«
    »Ein Computer, ein tragbarer Computer.«
    »Wie schön!«, rief er begeistert, als hätte sie das Geschenk nur für ihn gekauft. »Ich gehe jetzt. Du solltest lieber nicht die Polizei rufen, sonst komm ich zurück.«
    Er schloss die Augen, und ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, als amüsierte er sich über einen Witz, den nur er verstand. Er öffnete die Augen mühsam, seine Lider schienen unerträglich schwer zu sein. Er schaute sich um, als wüsste er nicht, wo er war und was er zuletzt gesagt hatte. »Yeah, das stimmt«, nuschelte er. »Ich komm zurück und bring dich um. Kapiert?«
    »Ja, das haben wir kapiert«, wiederholte Mum. »Wir werden nicht die Polizei rufen. Versprochen.«
    Er stand wie angewurzelt da, verloren im unendlichen Labyrinth seines Trips. Er murmelte etwas und wollte rülpsen, konnte aber nicht. Seine Augen fielen wieder zu, und ich vermutete schon, dass er wieder in eine seltsame Trance verfallen war. Dann klappten sie unvermittelt auf wie bei einer Puppe. Er fixierte mich mit einer so kalten und tödlichen Intensität, dass ich wegsehen musste.
Jetzt beginn das Blutvergießen, jetzt beginnt das Blutvergießen, gerade als wir dachten, er würde gehen und uns in Frieden lassen! Jetzt beginnt der Wahnsinn …
    Er taumelte vorwärts, wobei der rosa Umschlag vom Laptop rutschte und auf den Boden fiel. Bei dem Geräusch richtete er sich auf, schmatzte laut und leckte sich die Lippen.
    »Ich komm zurück und bring dich um«, wiederholte er kaum hörbar.
    Er fummelte ungeschickt an dem Paket herum und klemmte es unter den linken Arm. Dabei fiel die schöne rote Schleife ab und segelte wie ein Herbstblatt zu Boden. Langsam tastete er sich zurück ins Esszimmer. Er blieb am Tisch stehen, und ich vermutete schon, dass er jetzt nach dem Messer greifen würde. Aber nein, er schien hindurchzublicken, als wäre es unsichtbar oder eine Halluzination. Dann wankte er in die Küche und war verschwunden.
     
    Ich hörte, wie er in der Küche rumorte, als er mit meinem Computer unter einem Arm und der roten Sporttasche unter dem anderen zur Tür hinauswollte. Er war zu weggetreten, um eins davon abzustellen und mit der freien Hand die Tür zu öffnen.
    »Es ist vorbei«, sagte Mum. »Jetzt geht er wirklich. Ich habe doch gesagt, er tut uns nichts.«
    Ja, diesmal hatte sie recht. Er ging wirklich und nahm das Geschenk zu meinem sechzehnten Geburtstag mit, das er an seine stinkende Jacke gedrückt hielt. Das Geschenk, das Mum sorgfältig eingepackt, mit einer hübschen roten Schleife dekoriert und auf den Küchentisch gelegt hatte, bevor sie schlafen ging, damit es am nächsten Morgen als wunderbare Geburtstagsüberraschung auf mich wartete, wenn ich zum Frühstück herunterkam. Ihre mütterliche Intuition hatte ihr verraten, dass ich mir einen Laptop wünschte, den sie sich nicht leisten konnte, mir aber dennoch schenken wollte, und wenn sie selbst dafür auf vieles verzichten musste.
    Er ging – und hinterließ eine tiefe Schramme auf Mums Wange, wo sein dicker Siegelring sie getroffen hatte, und einen dunklen Ring um ihr rechtes Auge. Er

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