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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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zum Leben erweckt. Ich konnte seine Gegenwart beinahe spüren und wollte plötzlich so schnell wie möglich das Gästezimmer verlassen.
    Mit zitternden Fingern und rasendem Herzen klappte ich die Brieftasche auf. Das Münzfach war prall gefüllt, in einem anderen steckten zahlreiche Karten. Ich erkannte die rosa Ecke eines Führerscheins und versuchte, ihn mit den Fingernägeln herauszuziehen. Ich blickte in die kalten grauen Augen des Einbrechers. Wieder überkam mich Übelkeit. Seine Haare waren etwas kürzer, die Wangen weniger hohl, aber das Gesicht war unverkennbar: Dies war der Mann, den Mum und ich letzte Nacht in der Küche getötet hatten.
    Und da stand auch der Name.
    Paul David Hannigan.
    Ich steckte den Führerschein in die Gesäßtasche meiner Jeans, klappte die Brieftasche zu und warf sie in den Müllbeutel. Ich band ihn zu und versuchte, Mums Knoten so gut wie möglich nachzuahmen. Es waren keine Flecken auf meinen Händen oder an den Ärmeln zu sehen, aber ich wusch mir dennoch die Hände und zog zur Sicherheit ein anderes Oberteil an.
    Mein Magen gurgelte und knurrte vor Hunger. Ich ging in die Küche und machte mir eine kleine Schale Gemüsesuppe warm. Dazu schnitt ich einige Scheiben Baguette ab. Ich stellte die Sachen auf ein Tablett und aß vor dem Fernseher, in dem eine Zeichentrickserie lief. Es war sonderbar, wie Tom Jerry durch die Küche jagte
(»Wir spielen Reise nach Jerusalem! Wir spielen Reise nach Jerusalem!«)
und ihr mit der Bratpfanne auf den Kopf schlug, bis Jerry platt wie ein Pfannkuchen war. Dazu erklangen fröhliche Musik und komische Begleittöne wie »Boing!«. Gewalt in grellen Farben. Gewalt ohne Blut. Gewalt ohne Tod. Im wirklichen Leben war es anders. Ich erinnerte mich, wie Mum mit dem Schneidbrett in Stellung gegangen war, es fest umklammert und tief Luft geholt hatte, bevor sie es hoch über den Kopf schwang. Ich erinnerte mich an das Geräusch des Aufpralls … es war kein Boing gewesen.
    Ich legte mich aufs Sofa und schaute mir den Führerschein genauer an. Ich las das Geburtsdatum und rechnete aus, dass Paul David Hannigan vierundzwanzig gewesen war, acht Jahre älter als ich. Älter als ich gedacht hatte. Da war seine Unterschrift – eine nach links geneigte Kinderschrift mit einem lächerlichen Schnörkel, als wäre er jemand Wichtiges. Als Adresse war eine Stadt im Norden angegeben, die berüchtigt war für hohe Arbeitslosigkeit und kriminelle Drogenbanden. Erst vor einem Monat war dort ein vierzehnjähriger Junge, der als Drogenkurier arbeitete, am helllichten Tag erschossen worden. Eine Ratte weniger aus diesem Rattenloch, dachte ich schläfrig. Allerdings war der Führerschein vier Jahre alt, vermutlich hatte Paul Hannigan inzwischen hier in der Gegend gelebt.
    Ich versuchte mir auszumalen, wie die Polizei seine Spur schließlich zu uns zurückverfolgte, doch mir fielen die Augen zu. Ich schob den Führerschein wieder in die Hosentasche. Jemand vermisste ihn schon. Jemand … suchte … schon … nach … ihm …

24
    Ich wachte auf, weil mich jemand sanft an der Schulter rüttelte.
    Als ich die Augen aufschlug, sah ich Mum über mir. Draußen war es dunkel. Das einzige Licht im Wohnzimmer kam von der Stehlampe neben dem Fernseher.
    »Ist die Polizei da?« Ich setzte mich mit einem Ruck auf.
    »Nein, nein«, erwiderte Mum in sanftem Ton. »Die Polizei ist nicht hier, Shelley. Ich habe dir einen Tee gemacht. Es ist halb elf.«
    »Halb elf?« Ich hatte über fünf Stunden geschlafen!
    »Als ich nach Hause kam, hast du tief und fest geschlafen. Ich wollte dich nicht wecken. Ich habe die ganze Küche noch einmal genauestens untersucht, gebadet, hier im Sessel gesessen und bin dann auch eingeschlafen. Ich bin selbst eben erst wach geworden.«
    Ich nahm den Becher, den sie mir hinhielt. Mein Mund war trocken und schmeckte scheußlich, und ich trank durstig den lauwarmen Tee.
    »Was macht dein Hals?«
    Ich schluckte. Das kratzige Gefühl war noch da.
    »Fühlt sich komisch an.«
    »Ich habe dir Halsbonbons und Hustensaft mitgebracht. Nimm den Hustensaft, bevor du schlafen gehst, und dann warten wir, wie es morgen aussieht. Mit einem bisschen Glück wird es dadurch besser. Hoffentlich musst du nicht zum Arzt – Dr. Lyle ist alt, aber kein Idiot. Er wird unangenehme Fragen stellen.«
    »Wie war’s bei der Arbeit, Mum?«
    »Furchtbar. Ich hatte einen Riesenstreit mit Blakely, und zwar vor den Augen von Brenda und Sally.«
    »Einen Streit?«
    »Er wollte, dass

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