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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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darauf war ich wieder bei ihr. Mum hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sie legte die Hand vor die Augen, um sie vor dem hellen Licht der Taschenlampe zu schützen.
    »Mach sie aus, wenn du ein Auto hörst.« Dann hielt sie sich wieder an mir fest, und es ging weiter.
    Eigentlich war es eine gute Taschenlampe, die wir für Stromausfälle gekauft hatten, doch in dieser undurchdringlichen Dunkelheit nützte sie nicht viel. Ihr Lichtkreis war nicht viel größer als ein Teller, und wir kamen noch immer langsam voran. Das Gras sah seltsam aus im Schein der Taschenlampe, nicht grün, sondern geisterhaft silbern, und die abgefallenen Äste ragten wie Skeletthände aus der Erde. Ich dachte an den Einbrecher, der hinter uns im ovalen Rosenbeet begraben lag:
Und wenn die Toten nicht tot bleiben? Wenn die Toten nicht wirklich sterben?
    Ich stellte mir vor, wie er in der Finsternis auf uns zukam. Ich sah sein totes Gesicht, die Neandertaler-Stirn, die glasigen Augen, den gebrochenen Kiefer, die klaffende Wunde am Hals. Mir war, als könnte seine Leichenhand jeden Augenblick nach mir greifen. Ich versuchte, schneller zu gehen, aber Mum klammerte sich an mich. Ich versuchte, die morbiden Gedanken zu vertreiben, und sagte mir, es gäbe keine Geister, der Einbrecher Paul David Hannigan sei ein schmächtiger Ganove von vierundzwanzig Jahren gewesen und
tot, tot, tot
! Doch sein Name schützte mich nicht vor der Angst, wie ich gehofft hatte.
    Endlich erreichten wir die Hecke. Ich spähte hinüber. Die Straße schien vollkommen verlassen, doch als sich der Wind legte, vernahm ich ein seltsames Geräusch – ein unregelmäßiges Klacken und Zischen, dass irgendwo aus der Nähe kam. Ich hielt inne. Es dauerte eine Weile, bis ich den Grund erkannte: eine Berieselungsanlage auf dem Feld gegenüber. Wenn das Unwetter losbrach, würde man sie kaum noch brauchen.
    Ich quetschte mich durch die Hecke auf die grasbewachsene Böschung, gefolgt von Mum. Sie ging zur Fahrerseite des Wagens und probierte den Schlüssel aus. Die Tür öffnete sich beim ersten Versuch. Ich verspürte den kindischen Drang, eine Bemerkung zu machen –
Hab ich doch gesagt! Hab ich doch gesagt!
 –, konnte den Impuls aber unterdrücken. Als Mum die Tür öffnete, ging die Innenbeleuchtung an. Wir krochen rasch ins Auto, als hätte uns ein greller Suchscheinwerfer erwischt, und knallten die Türen zu.
    Einen Moment lang saßen wir schweigend im Dunkeln. Ich hörte, wie Mum sich bemühte, ruhig zu atmen, und rümpfte die Nase, weil es so nach Zigaretten stank.
    »Okay«, flüsterte sie, »mal sehen, was wir hier haben.« Sie tastete nach dem Schalter für die Innenbeleuchtung. »Wo ist der verdammte –!«
    »Schon gut, Mum. Ich habe die Taschenlampe.«
    Ich schaltete sie ein, und wir durchsuchten eilig den Wagen. In meiner fiebrigen Paranoia rechnete ich damit, dass jeden Moment ein Auto um die Ecke biegen könnte. Im Handschuhfach fand ich einen Notizblock, auf dem irgendwelche Berechnungen standen. Ich nahm ihn heraus, ließ Bonbonpapiere, Zigaretten, Parkscheine und eine Zellophantüte mit einem tabakbraunen Würfel, der ein starkes Aroma verströmte und den ich für Cannabis hielt, aber liegen. Im Seitenfach an der Fahrertür entdeckte Mum einen Straßenatlas, den sie an sich nahm. Vielleicht hatte Hannigan etwas Verdächtiges hineingekritzelt. Auf dem Rücksitz lag ein khakifarbener Trenchcoat, den ich zu einem Bündel rollte. Ich leuchtete mit der Taschenlampe den Boden ab, fand aber nur Schokoladenpapier und eine leere Wodkaflasche.
    »Sollen wir das alles mit ins Haus nehmen?«
    »Nicht jetzt.« Mums ängstliches Gesicht leuchtete gelb im Lampenlicht und war von tiefen Schatten gezeichnet. »Das dauert zu lange. Leg die Sachen hinter die Hecke in den Garten. Wir nehmen sie später mit.«
    Ich stieg aus, quetschte mich wieder durch die Hecke, warf Notizblock und Atlas ins Gras und den seltsam schweren Trenchcoat obendrauf, damit sie nicht weggeweht wurden.
    Als ich wieder im Auto saß, versuchte Mum, den Motor anzulassen. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie den Schlüssel nicht ins Zündschloss bekam. Die anderen Schlüssel klapperten geräuschvoll. Dann fiel mir etwas ein, und ich berührte sie sanft an der Schulter. Sie zuckte zusammen und starrte mich an.
    »Mum, warte mal. Wir haben den Kofferraum vergessen!«
    Sie sagte nichts, sondern stieg aus und ging nach hinten. Nachdem sie ewig lange mit den Schlüsseln herumgefummelt hatte, sprang die

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