Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
Vom Netzwerk:
rasselnd. Schließlich warf er eine rosa Plastikkarte auf den Küchentisch. Mum nahm sie und blinzelte fragend auf die kindliche Unterschrift mit dem lächerlichen Schnörkel und das briefmarkenkleine Foto, bevor sie begriff, was es war. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
    Dann bedachte sie mich mit einem feindseligen, vorwurfsvollen Blick.
    »Das ist Paul Hannigans Führerschein«, sagte der fette Mann. »Ich habe ihn oben gefunden, versteckt in einer kleinen Kiste in der Frisierkommode Ihrer Tochter. Ich wusste, wenn der hier ist … dann hat Paul Hannigan das Haus nicht lebend verlassen.«
     
    Mum sah zu, wie er den Führerschein mühsam wieder einsteckte. Irgendwie schien sie geschrumpft, als hätte man die Luft aus ihr herausgelassen. Sie sank auf den Stuhl gegenüber, als könnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten.
    Der Erpresser, dieser fettleibige Ochsenfrosch, der ihr grinsend gegenübersaß, hatte gewonnen. Und schuld daran war ironischerweise genau der Mensch, den sie um jeden Preis beschützen wollte:
ich.
Ich hatte unserem Feind den Schlüssel zu unserer Festung geliefert. So konnte er ihre sorgfältig errichteten Verteidigungslinien durchbrechen und uns zur Kapitulation zwingen. Sie konnte ihre bittere Enttäuschung, das Gefühl, hintergangen worden zu sein, nicht verbergen.
    »Es war nicht weiter schwer, mir den Rest zusammenzureimen«, sagte der fette Mann und lächelte selbstzufrieden. »Sie haben Paul überrascht, als er das Haus ausrauben wollte, und es kam zu einem Kampf. Irgendwie hat Ihr Mädchen es geschafft, ihm das Messer abzunehmen, und auf einmal war er tot. Sie dachten, Sie könnten das alles vertuschen. Sie dachten, Sie wären schlauer als alle anderen und könnten Ihr nettes, kleines Leben einfach so weiterführen, als wäre nichts passiert. Aber mit mir hatten Sie nicht gerechnet, was?«
    Er verschränkte seine muskulösen Zwergenarme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück.
    »Ich möchte wetten, Sie haben ihn irgendwo im Garten vergraben. Stimmt’s oder habe ich recht?« Wieder das kehlige, schleimige Lachen. »Dachte ich mir.« Er grinste. Mums mürrisches Schweigen war Bestätigung genug.
    Er schaute Mum unverwandt an und schien sich an ihrem Elend zu weiden. Sie hatte die Hand längst aus der Tasche gezogen und ließ sie schlaff herabhängen.
    »Na bitte«, sagte er fröhlich, »jetzt wissen Sie
alles
. Zahlen Sie jetzt die zwanzig Riesen, oder muss ich den Jungs in Blau einen kleinen Brief schreiben?«
    »Wie vielen Leuten haben Sie davon erzählt?« Mums Stimme klang heiser und zerbrechlich.
    »Keinem.«
    »Wie kann ich sicher sein? Woher soll ich wissen, dass Sie das nicht in allen Kneipen herumposaunt haben? Woher soll ich wissen, dass nach Ihnen nicht noch diverse andere Erpresser auftauchen?«
    »Sie müssen mir schon glauben«, meinte er achselzuckend, schien dann aber zu begreifen, dass sein Wort unter diesen Umständen nicht viel galt. Also gab er sich ein bisschen Mühe.
    »Hören Sie, Schätzchen, ich habe dreimal lange gesessen, und jedes Mal, weil mich jemand verpfiffen hat. Ich rede mit
keinem
mehr. Ich hab auf die harte Tour gelernt, dass man besser den Mund hält.«
    »Warum haben Sie so lange gewartet? Sie haben den Führerschein –«, sie rechnete rasch im Kopf, – »am 22 . April gefunden: Das war vor über einem Monat.«
    Er zwinkerte mir verschwörerisch zu wie ein schelmischer Onkel. »Deiner Mum entgeht aber auch gar nichts, was?« Dann schaute er sie wieder an, und sein Lächeln verblasste. »Ich war im Krankenhaus. Die Pumpe will nicht mehr so richtig. Ich war fast einen Monat drin. Sie haben mich erst vorgestern entlassen. Ich glaube, das sind genügend Fragen. Wo wollen wir die sechshundert Mäuse holen?«
    Mum ging gar nicht darauf ein. »Was ist mit Paul Hannigans Familie? Mit seinen Freunden? Werden die nicht nach ihm suchen?«
    »Er hatte keine Familie«, erwiderte er ungeduldig. »Hat mir erzählt, er wäre eine Waise. Wäre im Heim aufgewachsen.«
    »Was ist mit seinen Freunden?«
    »Er war erst seit ein paar Monaten hier unten. Kannte nur eine Handvoll Leute. War keiner, der schnell Freunde fand. Vermutlich kannte ich ihn besser als alle anderen. Niemand wird Paul Hannigan vermissen, Schätzchen, das können Sie mir glauben. Und niemand wird herausfinden, was passiert ist. Ich bin der Einzige, der Bescheid weiß. Ich bin der Einzige, der Ihnen Schwierigkeiten machen kann.«
    Natürlich konnte der fette Mann nicht ahnen, dass

Weitere Kostenlose Bücher