Mueller, Carin
gewesen. Nachdem er ihre Anrufe den ganzen Januar über ignoriert hatte, hatte sie an seinem Geburtstag dann plötzlich vor der Tür gestanden und ihn dazu überredet, mit ihr essen zu gehen. Er hatte eigentlich keine Lust dazu gehabt, aber letztlich doch eingewilligt. Wie konnte ich nur so blöd sein?, fragte er sich seitdem beinahe ununterbrochen. Da er von Giovanni gestern Abend auch die Adresse ihrer Wohnung bekommen hatte, war er schließlich heute Vormittag hingefahren. Ihm wurde heiß und kalt, als er daran dachte, wie selbstverständlich sie ihn mit den Worten »Willkommen in deinem neuen Heim!« begrüßt hatte. Als sei es das Normalste der Welt, hatte sie ihn geküsst und sich auch gar nicht die Mühe gemacht, irgendetwas abzustreiten. »Natürlich will ich mit dir zusammenleben, und da es mit eigenem Nachwuchs wohl nicht mehr klappen wird, werde ich eben für deine Kinder die perfekte Mutter sein. Ich werde sie adoptieren und ihnen ein wirklich schönes Leben bereiten. Arbeiten muss ich ja glücklicherweise nicht mehr. Mein amerikanischer Ex hat sich die Scheidung von mir hübsch was kosten lassen, damit er sich in Ruhe seiner jungen Sekretärin widmen kann. Eine Nanny habe ich übrigens auch schon eingestellt, denn ich habe wirklich keine Lust, nachts für ein Neugeborenes aufzustehen.«
Adrian hatte das Gefühl gehabt, inmitten einer grausamen Kopie von »Eine verhängnisvolle Affäre« zu stecken, nur ohne Glenn Close und ein ermordetes Haustier im Topf. Noch nicht jedenfalls. Mit dem letzten bisschen Selbstbeherrschung, das er aufbringen konnte, hatte er zu ihr gesagt: »Gisela, du bist krank! Du gehörst in Behandlung. Und wenn du dich noch einmal einem Familienmitglied oder einem Mitarbeiter von mir oder Antonella näherst, werde ich aus deinem Leben eine schlimmere Hölle machen als du aus meinem!« Damit hatte er sich umgedreht und wollte gehen. Er hatte jedoch kaum die Treppe erreicht, als ein Schuss knallte und eine Kugel nur Zentimeter neben seinem Kopf in die Mauer einschlug. »Ich liebe dich! Komm zurück, sonst bringe ich dich um!« Nachdem er sich vorsichtig umgedreht hatte, hatte ihn Gisela mit einem fratzenhaft entstellten Gesichtsausdruck angestarrt. Aus ihren Augen war alle menschliche Vernunft gewichen – aber ihre Hand, mit der sie die Pistole auf ihn richtete, war völlig ruhig gewesen.
An die folgenden Minuten hatte er nur noch schemenhafte Erinnerungen. Irgendwie war es ihm wohl gelungen, ihr glaubhaft zu machen, dass er bei ihr bleiben würde, und schließlich hatte er ihr auch die Waffe abnehmen können. Augenblicke später war die Polizei gekommen, die von besorgten Nachbarn alarmiert worden war. Gisela war daraufhin völlig durchgedreht und in die Psychiatrie gebracht worden. Nachdem Adrian eine ausführliche Zeugenaussage zu Protokoll gegeben hatte – mit allem, was er von der monatelangen Intrige wusste –, war er wieder in sein Büro zurückgekehrt. Dort tigerte er jetzt immer noch komplett geschockt herum und fragte sich verzweifelt, wie er aus dieser völlig verfahrenen Situation jemals wieder herauskommen sollte. Würde ihm Antonella verzeihen können? Er ahnte, dass für sie das Schlimmste an der ganzen Geschichte nicht die Tatsache war, dass Gisela offensichtlich ein massives psychisches Problem mit sich herumtrug und sich diesen ganzen kruden Plan ausgedacht hatte. Das würde sie vielleicht irgendwann einmal einsehen und ihm auch glauben, dass er selbst völlig ahnungslos gewesen war. Nein, das Schlimmste war mit Sicherheit, dass er ihr einfach nicht geglaubt hatte, als sie ihm davon erzählte. Warum hatte er ihr nicht einfach vertraut, sondern war sofort davon ausgegangen, dass mal wieder ihre wilde Fantasie mit ihr durchgegangen war? Warum war er offensichtlich eher bereit, seiner Mutter zu glauben, die Antonella nicht ausstehen konnte, und Gisela, der Frau, von der er sich einst aus gutem Grund getrennt hatte? Eine Antwort wusste er darauf auch nicht. Er wusste nur, dass er etwas tun musste, ehe es zu spät war.
Am nächsten Tag, es war ein Samstag, lag Antonella zuhause auf dem Sofa. Sie konnte nicht mehr. Die letzten Tage hatte sie einfach nur irgendwie funktioniert, hatte getan, was ihrer Meinung nach getan werden musste. Sie hatte kaum gegessen und so gut wie nicht geschlafen – dafür aber so viel geweint wie noch nie in ihrem Leben. Gestern Abend war Giovanni bei ihr gewesen und hatte ihr von Adrian erzählt. Wie verzweifelt er sei, wie untröstlich, und
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