Mueller, Carin
ganz zuhause«, sagte er lächelnd und goss die beiden Gläser voll. »Wollen Sie mir jetzt erzählen, warum Sie hier sind?«
Gut zwei Stunden später hatte er nicht nur alle Details von Katias haarsträubendem Absturz der letzten beiden Tage gehört, sondern auch noch den Rest ihrer Lebensgeschichte inklusive des Freundschafts-Feindschafts-Dramas mit Antonella. Inzwischen waren sie von Wasser auf Wein umgestiegen, Elisa nuckelte an ihrer Gute-Nacht-Flasche, und Adrian rührte eine Pastasauce zusammen. »Huhu, ich bin zuhause!«, tönte es aus dem Flur, gefolgt von einem dumpfen Schlag: »Aua! Was ist denn hier los?« Antonella hatte sich an einem der Koffer gestoßen und kam jetzt mit einem befremdeten Gesichtsausdruck in die Küche. »Kathi?«, fragte sie verblüfft und zog sich die Jacke aus. In ihren Haaren schmolzen die letzten Schneeflocken – es hatte wieder zu schneien angefangen.
»Tja, Überraschung. Wir haben Besuch!« Adrian kam lächelnd zu ihr, küsste sie und nahm ihr die Jacke ab.
»Was machst du denn hier?« Antonella hatte ihren Mann kaum wahrgenommen, sondern starrte nur fragend auf Katia, die ihr Glas mit beiden Händen umklammert hielt und offenbar um eine passende Antwort rang.
»Das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte«, sagte sie schließlich und nahm einen großen Schluck Wein.
»Und was machen wir jetzt mit ihr?« Kurz vor Mitternacht lagen Antonella und Adrian im Bett, und Antonella konnte immer noch nicht recht fassen, was sie an diesem Abend erlebt hatte. Katia hatte während des Essens die ganze Geschichte noch einmal erzählt und mit den Worten geschlossen: »Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll. Du bist buchstäblich der einzige Mensch, der mir im Augenblick helfen kann.« Viele Tränen waren geflossen, und aus einer Flasche Wein waren bald zwei geworden. Irgendwann hatte Antonella die völlig ausgelaugte Katia ins Gästezimmer verfrachtet, und Adrian war mit den beiden Hunden, die im Laufe des Abends einen gewissen Waffenstillstand geschlossen hatten, noch einmal um den Block gegangen.
»Wir können sie jedenfalls schlecht auf die Straße setzen«, antwortete er und zog sie in seine Arme. »Ich werde mir morgen mal die ganzen Unterlagen ansehen und am Montag mit dem Londoner Kollegen telefonieren. Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass es wirklich so düster für sie aussehen soll. Dann sehen wir weiter. Aber die Geschichte ist schon ziemlich krass.«
»Ja, das stimmt«, murmelte Antonella und kuschelte sich an ihn. »Ich finde es aber auch ziemlich krass, dass sie diesen Typen überhaupt geheiratet hat. So berechnend ist sie früher nie gewesen. Aber dann hat sie sich plötzlich so extrem verändert, als wir fünfzehn oder sechzehn waren.«
»Na ja, wenn du ihr auch die erste große Liebe gestohlen hast, du böses Mädchen.« Adrian grinste sie an.
»Ganz ehrlich, die Geschichte habe ich in dieser Form heute zum ersten Mal gehört. Sie hatte ja immer abgestritten, dass sie in Stefan verknallt ist. Mir war zwar klar, dass sie auf ihn steht, aber wenn ich das gewusst hätte, dass es ihr derart das Herz bricht …«
»Hättest du ihn dir trotzdem geschnappt. Hormongesteuerte Teenies tun so etwas ständig.«
»Sprichst du da aus eigener Erfahrung, oder was? O Mann, vielleicht hätte ich sie damals doch ein bisschen ernster nehmen und die Finger von ihm lassen sollen. Es hat sich wirklich nicht gelohnt, für Stefan Schreiber unsere Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Wir waren damals so dick befreundet, ich hätte nie mit Absicht etwas getan, was sie verletzt hätte. Glaube ich jedenfalls …«, fügte sie ein wenig kleinlaut noch hinzu.
»Ganz bestimmt, du Engel!«, sagte Adrian ein wenig spöttisch, fuhr dann aber ernster fort: »Jetzt hast du ja die Chance, es wiedergutzumachen. Egal, was zwischen euch alles passiert ist, und egal, ob sie ihren Mann aus Berechnung geheiratet hat oder nicht, ich glaube, Katia braucht jetzt jeden Freund, den sie kriegen kann.«
»Da hast du bestimmt Recht«, seufzte Antonella und biss ihn dann spielerisch ins Ohrläppchen, »aber eigentlich hatte ich mir den Abend und das ganze Wochenende ein bisschen anders vorgestellt …«
»Da muss man eben flexibel sein.« Er küsste sie und fuhr mit einer Hand unter ihr Nachthemd. »Und der Abend ist ja noch nicht vorbei!«
Schon Tage später bereute Antonella ihre – oder vielmehr Adrians – Großherzigkeit allerdings bereits wieder. Der unverhoffte Hausgast hatte sich als ziemlich
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