Mueller, Carin
an.
»Wir haben übrigens schon das vorläufige Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung«, fuhr Kommissarin Jäger fort. »Wie es aussieht, hat Ihr Mann fast eine ganze Packung Viagra eingenommen, die dann mutmaßlich zum Herzversagen geführt hat. Ich muss Sie das leider fragen: Haben Sie irgendwelche Hinweise gefunden, die auf einen Suizid hindeuten?« Sie sah Katia erwartungsvoll an, die ihr Aris’ Brief reichte.
»Das dürfte wohl ziemlich eindeutig sein, oder?«
Zusammen mit den beiden Polizisten puzzelte sie sich in den nächsten Stunden einen groben Überblick über die Gesamtsituation zusammen. Offenbar war in erster Linie nicht ihre angebliche Lieblosigkeit Grund für Aristidis’ Selbstmord gewesen, sondern vielmehr sein kompletter geschäftlicher Zusammenbruch. Wie es aussah, war sein Unternehmen im Zuge der Wirtschaftskrise bankrottgegangen. Deshalb und weil er sich wohl im großen Stil auf krude Spekulationsgeschäfte mit seinem ältesten Sohn in Frankfurt eingelassen hatte. Die Wohnung, ein Luxusapartment im schicken Westhafen, hatte er für die zweiundzwanzigjährige Annalena Theiß gekauft.
»Gibt es noch jemand anderen, den Sie anrufen könnten?«, fragte die Polizistin, nachdem sie es vergeblich sowohl bei Damianos als auch bei dem englischen Anwalt versucht hatten.
»Nein«, antwortete Katia leise, »es gibt niemanden. Ich werde es später oder morgen noch einmal versuchen.«
»Für uns ist der Fall dann vorläufig klar. Im Augenblick haben wir keinen weiteren Ermittlungsansatz. Falls sich noch etwas anderes ergibt, werden wir uns bei Ihnen melden. Und bitte informieren Sie uns, wenn Sie die Stadt verlassen.« Die beiden Kommissare wirkten ein wenig betreten ob der Umstände, hatten es jetzt aber sichtlich eilig, den Ort dieser griechischen Tragödie zu verlassen.
Am frühen Abend läutete das Telefon in der Suite. Es war wieder der Empfang: »Ein Damianos Kolidis ist hier. Er sagt, Sie hätten ihn angerufen.«
»Ja, das stimmt. Schicken Sie ihn bitte herauf. Danke.« Würden sich jetzt ein paar Fragen klären? Katia war gespannt auf ihren Stiefsohn, der gut fünf Jahre älter war als sie selbst. Sie hatte ihn vor vielen Jahren einmal kurz getroffen und hatte kaum eine Erinnerung an ihn.
Der Mann, der kurze Zeit später vor ihr stand, hatte allerdings überhaupt keine Ähnlichkeiten mit seinem Vater. Während Aristidis selbst mit seinen siebzig Jahren noch markant, athletisch und gebräunt gewesen war, war sein ältester Sohn konturlos, schwammig und blässlich. Damianos musste um die vierzig sein, wirkte gehetzt und reichlich derangiert. Katia hielt ihm jedoch zugute, dass er schließlich gerade seinen Vater verloren hatte. Sie wusste nicht so recht, wie sie ihn begrüßen sollte – eine Umarmung? Stattdessen reichte sie ihm die Hand. »Danke, dass du gekommen bist.«
Nachdem sie erste Höflichkeiten ausgetauscht hatten, musterte er sie genau und stellte dann mit einem seltsamen Gesichtsausdruck fest, dass er »es beim besten Willen nicht nachvollziehen kann, warum mein Vater eine so schöne Frau wie dich verlassen wollte«. Katia nahm an, dass die merkwürdige Fratze wohl als charmantes Lächeln gedacht war, aber sie fand Damianos von Minute zu Minute unsympathischer.
»Wir werden die wahren Gründe wohl nicht mehr erfahren«, erwiderte sie.
»Ich will nur, dass du weißt, dass du dich jederzeit an mich wenden kannst.«
»Danke, aber im Augenblick würde mich vor allem interessieren, welche Art Geschäfte ihr beide abgewickelt habt. Das scheint ja alles nicht so gut gelaufen zu sein – und ihn in seine Verzweiflungstat getrieben zu haben. Davon geht jedenfalls die Polizei aus«, fügte sie noch hinzu, als sie sah, wie sich sein Gesichtsausdruck merklich verdüsterte.
»Das war alles völlig legal! Und in einem Punkt waren Vater und ich uns immer einig: Geschäfte sind keine Frauensache! Außerdem hat er einfach zu früh aufgegeben. Wir hätten nur noch eine kleine Investition tätigen müssen, und schon hätten wir nicht nur unseren Einsatz wieder zurückgekriegt, sondern auch einen satten Gewinn.«
»Tja, dafür ist es jetzt wohl zu spät …«
»Das würde ich nicht sagen«, Damianos’ Gesicht erhellte sich plötzlich. »Ich könnte unter Umständen eine Ausnahme von der Geschäftspolitik machen.«
»Ach?«
»Ja, ich meine, ich könnte ausnahmsweise mit einer Frau zusammenarbeiten. Mit dir! Du gibst mir einfach die fünfzigtausend Euro, die ich noch brauche, und
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