Mueller, Carin
weil ich wieder vergessen habe, wie diese komische Kaffeemaschine funktioniert. Warum habt ihr jungen Leute eigentlich keine vernünftigen Filtermaschinen mehr, sondern nur noch diese ›Espressoautomaten‹?«
Eine Antwort erwartete sie auf keine ihrer Fragen – so war es gestern gewesen und vorgestern und auch am Dienstag. Katia zählte langsam die Tage, bis Antonella und Adrian wieder da sein würden, denn neben der Kaffeestunde wurde sie auch täglich zum Abendessen erwartet: Es hatte schon Schweinebraten, Wiener Schnitzel und Brathähnchen gegeben, selbstverständlich immer mit üppigen Beilagen. Da heute Freitag war, rechnete Katia mit Fisch, wenigstens einmal etwas leichtere Kost. Das alles erinnerte sie sehr an ihre Kindheit. Ihre eigene Großmutter war genauso gewesen. Katia legte die Kleidung vorsichtig über eine Stuhllehne, entlockte der Kaffeemaschine etwas, das in etwa zwei Tassen »normalem Kaffee« entsprach, und nahm am Küchentisch Platz. Dort bekam sie Elisa auf den Schoß gesetzt und ein riesiges Stück Apfelkuchen mit einem Berg voller Schlagsahne vor die Nase gestellt. Auch Hugo und Olga saßen in aufmerksamer Haltung brav nebeneinander und erwarteten die nachmittägliche Wohltat. Die kam in Form von zwei Näpfen, die ebenfalls mit Apfelkuchen und Schlagsahne gefüllt waren und noch eine liebevolle Dekoration aus Hundekeksen bekommen hatten. Katia schüttelte stumm den Kopf, Widerstand war ohnehin zwecklos, warum also sinnlos Worte vergeuden? Sie würde eben nach Rosis Abreise mit Olga und Hugo ein paar Extrarunden laufen müssen. Im letzten Augenblick konnte sie noch das Baby davon abhalten, mit voller Wucht in die Sahne zu patschen. Dann nahm sie ihre Gabel und schob sich das erste Stück Kuchen in den Mund. Mit einem verzückten Seufzer ergab sie sich ihrem Schicksal. Denn ebenso sicher wie die regelmäßige Kuchenorgie für Mensch und Tier kam nun das tägliche Lamento über Katias Verhältnis zu ihren Eltern – oder vielmehr das nicht vorhandene. Geduldig hörte sie sich in den nächsten Minuten an, wie schlimm es für ihre Eltern gewesen war, dass ihnen das einzige Kind den Rücken gekehrt hatte. Das wusste sie deshalb so gut, weil sie natürlich immer noch regen Kontakt mit ihnen pflegte. Die Metzgerei Fuchs war eines von Rosis gesellschaftlichen Zentren in München – »Ich habe nie bessere Weißwürste gegessen!« Dass das Ehepaar Fuchs an der Entfremdung zur eigenen Tochter auch nicht ganz unschuldig war, ließ die alte Dame als Argument nicht gelten. »Familie muss immer zusammenhalten! Deine Eltern haben dir dein Leben geschenkt und dich liebevoll großgezogen, da gehört es sich einfach nicht, wenn du sie verlässt!« Katias Großmutter war vor drei Jahren gestorben, auch das hatte sie erst von Rosi erfahren, und es hatte ihr einen gewaltigen Stich gegeben. Denn zu ihrer Oma hatte sie immer ein besonderes Verhältnis gehabt. Im Gegensatz zu ihren Eltern, die praktisch rund um die Uhr im Geschäft eingespannt waren, hatte sie sich immer Zeit für die kleine Kathi genommen. Mit ihr hätte sie schon gerne noch einmal gesprochen. Aber dafür war es nun zu spät. Apropos: »Kind, gib dir einen Ruck, ehe es zu spät ist! Wenn du dich nicht mit ihnen versöhnst, wird es dir vielleicht ewig leidtun.«
Möglicherweise war es wirklich langsam an der Zeit, dass sie sich mit ihren Eltern aussprach, aber sie brachte das einfach noch nicht fertig. Nicht in ihrer aktuellen Situation. Als sie ihren Kuchen aufgegessen hatte, unterbrach sie deshalb den Redefluss der alten Frau: »Rosi, mal was ganz anderes. Ich habe heute mal den Speicher durchgesehen. Das hatte ich Antonella versprochen, schließlich will ich mich doch ein bisschen nützlich machen. Jedenfalls habe ich eine ganze Menge Sachen von deiner Schwester Elsa gefunden, zumindest glaube ich, dass sie von ihr sind. Unter anderem zwei große Koffer voller toller Kleider.« Katia deutete auf den kleinen Haufen, den sie über einen Stuhl gelegt hatte. »Die Sachen sind wirklich sehr, sehr schön und passen mir auch einigermaßen. Meinst du, ich könnte sie haben?«
»An das Kleid erinnere ich mich!« Rosi lächelte und befühlte mit ihrer vom Alter gezeichneten fleckigen Hand den zarten Stoff. »Das muss Mitte der Fünfziger gewesen sein. Wir waren alle sehr besorgt um sie. Sie war damals schon über dreißig und immer noch nicht verheiratet. Ich hatte zu der Zeit schon zwei Kinder, obwohl ich fast fünf Jahre jünger war als sie.
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